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Blut und Silber

Blut und Silber

Titel: Blut und Silber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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Stiefsohn, den sie nun zum ersten Mal sehen würde.
    »Ist der Wundarzt schon bei ihm?«, fragte sie besorgt.
    In all dem Durcheinander schien niemand zu bemerken, dass endlich auch der alte Landgraf aus dem Palas gekommen war. Gestützt auf einen Diener, stand er vor dem Tor. Das dünne weiße Haar wehte um seinen Schädel, und mit mürrischer Miene und halb zusammengekniffenen Lidern starrte er auf seinen Erstgeborenen. Dann machte er kehrt und humpelte ohne ein Wort zurück in seine Kammer.
    Friedrich sah ihn gerade noch im Eingang verschwinden und unterdrückte den Impuls, dem Vater nachzueilen und ihn den Regeln der Höflichkeit entsprechend zu begrüßen. Sein eigener Sohn war ihm jetzt wichtiger. Und sein störrischer Vater hätte es durchaus über sich bringen können, den Sohn zu beglückwünschen, der sich hierher durchgekämpft hatte, um die Belagerung zu durchbrechen und Rettung für die Eingeschlossenen zu bringen. Wenn er stattdessen wortlos und mit finsterer Miene davonschlurfte, bedeutete das nur, dass der nächste Ärger mit dem unberechenbaren Greis bevorstand. Dafür hatte Friedrich jetzt weder Zeit noch Geduld.
     
    »Habt ihr Markus gesehen?«
    Immer verzweifelter kämpfte sich der kleine Franz durch die Menschenmenge auf dem Burghof, bis ihn jemand am Ohr schnappte und zu sich zog.
    »Hast du nichts zu tun, du Tagedieb?!«, schnarrte der dritte Aufseher des Küchenmeisters, ein strenger Mann, den alle Küchenjungen wegen seines dünnen Kinnbartes heimlich nur »Ziegenbart« nannten. »Ab zu den Töpfen mit dir!«
    Der Gehilfe riss so heftig am Ohr des Jungen, dass dieser kaum zu nicken wagte.
    »Ja, Meister«, schniefte er gehorsam und wurde losgelassen. Er wischte sich mit dem Ärmel die Nase ab und trabte los Richtung Küche. Weil er den Blick des Küchenaufsehers auf sich wusste, riskierte er es gar nicht erst, vorher abzubiegen und weiter nach seinem großen Freund zu suchen. Doch kaum hatte er das Gebäude betreten, machte er kehrt und spähte vorsichtig hinaus. Vom Ziegenbart war weit und breit nichts zu sehen. Also huschte er wieder nach draußen und rannte los. Vielleicht traf er noch einen von den Reitknechten im Stall, die mit Fürst Friedrich gekommen waren.
    Franz atmete erleichtert auf, als er unangefochten ins Stallgebäude geschlüpft war. Wenn ihn jemand dabei ertappte, dass er die Arbeit versäumte und einem Befehl nicht gehorchte, würde es so gewaltig Prügel setzen, dass er eine Woche nur auf dem Bauch schlafen konnte.
    Rasch sah er sich im Dämmerlicht des Stalls um. Hier war immer noch jede Menge los: Die Stallburschen versorgten die neu eingetroffenen Pferde, ein paar der Reitknechte waren erwartungsgemäß dabei, den anderen vom Kampf dieser Nacht zu erzählen. Franz schlängelte sich zu einem lustigen Blondschopf durch, mit dem er schon ab und an einen Streich ausgeheckt hatte.
    »Weißt du, wo Markus ist?«, fragte er ihn und ließ kein Auge von dem Größeren.
    »Der war bei denen, die unten die Burg stürmen wollten«, antwortete der Bursche, plötzlich ungewohnt ernst. »Machst dir Sorgen um ihn, hm? Es heißt, die hätten da unten ziemliche Verluste gehabt … Es ist noch keiner von dort zurück; sie müssen erst die Toten und Verletzten bergen.«
    Als er die Verzweiflung auf dem Gesicht des Jungen sah, fügte er rasch hinzu: »Ihm wird schon nichts passiert sein, Kleiner. Geh und sprich brav ein Gebet, dann wird sich alles fügen. Den haut so schnell keiner tot …«
    Franz verschwamm der Blick. Er starrte geradeaus und versuchte, die Tränen wegzublinzeln. Dabei entging ihm, dass der junge Reitknecht plötzlich beunruhigt über ihn hinwegsah. Im nächsten Moment krallte sich eine Hand hart in die Schulter des Sechsjährigen. Er wurde jäh herumgezerrt und sah den wutschnaubenden Ziegenbart vor sich.
    »Hab ich mir’s doch gedacht, dass du dich immer noch herumtreibst!«, brüllte der Küchenaufseher. Mit seiner Rechten holte er aus und verpasste Franz eine Ohrfeige, die ihn zu Boden schleuderte.
    Der blonde Stallknecht trat rasch vor den Jungen, dessen Wange wie Feuer brannte. »Der Stallmeister hat nach ihm rufen lassen«, mischte er sich tapfer ein, während seine Gedanken auf der Suche nach einer glaubhaften Ausrede durcheinanderwirbelten.
    »Und was will wohl der Stallmeister von einem Nichtsnutz wie diesem?«, höhnte der Ziegenbart, schon voller Vorfreude, dass nun dank seiner Aufmerksamkeit zwei Faulpelze für ihre Lügen und Versäumnisse bestraft

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