Blut und Silber
was geschah, rannte er noch schneller. Am Waldrand war eine Gruppe meißnischer Kämpfer in ein blutiges Scharmützel verwickelt, allem Anschein nach mit Versprengten, die sich zu einem Angriff aus dem Hinterhalt gesammelt hatten.
Dann glaubte er für einen Herzschlag lang zu erstarren. In der Mitte der Szenerie sah er, wie sich der alte Marsilius schützend vor eine Frau warf und durch einen Schwerthieb zu Boden sank. Und noch während Ulrich weiterrannte, so schnell er nur konnte, stieß einer der Angreifer seine Waffe Sibylla in die Brust.
Ulrich schrie auf wie ein waidwundes Tier. Triumphierend sah sich der Angreifer um. Im nächsten Augenblick war Ulrich heran und schlug ihm mit einem einzigen Schwerthieb den Kopf von den Schultern. Dann sank er auf die Knie und zog Sibyllas Körper in seine Arme, ohne auch nur einen Blick auf den enthaupteten Leichnam zu verschwenden.
Sie lebte noch. Aber sosehr er sich auch mühte, das Blut mit seinen Händen aufzuhalten, das aus ihrem Körper rann – der Verstand sagte ihm, dass ihr nur noch wenige Augenblicke blieben.
»So holt doch einen Feldscher!«, schrie er, ohne den Blick von Sibylla abzuwenden.
Mit seinen blutverschmierten Händen bettete er ihren Kopf auf seinen Schoß. »Verlass mich nicht, Liebste, verlass mich nicht!«, flehte er sie an und spürte ein ungewohntes Brennen in den Augen.
Sie richtete den Blick auf ihn und versuchte ein klägliches Lächeln. »Ich verlasse dich nicht … Liebster. Ich werde … auf dich warten.«
Die Worte mussten sie die letzte Lebenskraft gekostet haben.
Ihre Augen brachen, ihr Kopf sank in seinem Schoß kraftlos zur Seite.
Sein Verstand weigerte sich zu akzeptieren, was er sah: dass seine Geliebte tot war, getötet, als er nur noch zehn Schritte von ihr entfernt war, ohne dass er es hatte verhindern können.
Es konnte nicht sein, dass sie tot war, ihm für immer entrissen, dass er nie wieder ihre Stimme hören, ihr Lachen, das Leuchten in ihren dunklen Augen sehen würde. Das durfte einfach nicht sein!
Nichts von seiner Umgebung nahm Ulrich wahr. Erinnerungen zogen vor seinen Augen vorbei. Wie er sie zum ersten Mal gesehen hatte, damals in jener eiskalten Winternacht in Freiberg, als sie völlig zerschunden und entkräftet die Nachricht vom anrückenden Heer Adolfs von Nassau brachte. Wie sie gemeinsam auf der Mauer von Freiheitsstein standen und mit ansehen mussten, wie die königliche Armee in die Stadt flutete. Wie sie zu ihm gekommen war, als er – verzweifelt, verwundet und ohne jeglichen Lebensmut – gefangen in einem Huthaus vor Freiberg war, um ihn mit dem Geschenk ihres Körpers zurück ins Leben zu holen. Wie sie sich ihm in ihrer ersten gemeinsamen Liebesnacht vorbehaltlos hingegeben hatte. Ihr leidenschaftliches und zugleich verzweifeltes Wiedersehen in Prag. Und wie sie in Begleitung Goldackers auf die Wartburg gekommen war, zurück zu ihm.
Ulrich von Maltitz starrte in den Himmel, als würde Gott ihm eine Antwort geben, eine Erklärung für diese Ungerechtigkeit und Grausamkeit. Seine Schultern zuckten, als das Schluchzen über ihn kommen wollte.
Er warf den Kopf in den Nacken und stieß einen unmenschlich klingenden Schrei aus, der weit in die Nacht hinaushallte.
Es dauerte eine Zeit, bis jemand es wagte, sich Ulrich zu nähern, der reglos dort kniete, Sibyllas Leichnam in den Armen haltend.
Schließlich ergriff einer der älteren Ritter die Initiative, ein meißnischer Lanzenführer. Er trat zu ihm und räusperte sich. Ulrich sah zwar zu ihm auf, doch er erweckte nicht den Eindruck, dass er begriff, was der andere sagte.
»Wir haben alle Angreifer erwischt. Sieben sind tot. Wollt Ihr die anderen sehen, Maltitz?«
Vorsichtig bettete Ulrich die Tote auf den Boden, als könnte sie noch etwas spüren. Dann richtete er sich unendlich langsam auf. Ohne ein Wort folgte er dem Älteren ein paar Schritte zur Seite, wo die Gefangenen von den Männern festgehalten wurden, die sie überwältigt hatten.
»Es waren ein Dutzend Geflohene, die sich zurückgeschlichen hatten, um das Lager zu überfallen. Erst schnitten sie den Verwundeten die Kehlen durch, dann fielen sie über die Helfer her«, erklärte der Ritter, voller Zorn und Abscheu, aber auch Scham darüber, dass der Angriff zu spät entdeckt worden war.
»Der alte Medicus wollte sie retten …«, sagte er und deutete hilflos auf Sibylla.
Marsilius war blutüberströmt, doch sein Gesicht wirkte im Tod friedlicher als zu Lebzeiten. Ulrich
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