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Blut und Silber

Blut und Silber

Titel: Blut und Silber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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sie von diesem Apotheker schlecht behandelt wurde, vermochte selbst ein Blinder zu erkennen. Aber wieso glaubte sie, dass sie in die Hölle kam?
    Änne sank noch mehr in sich zusammen, als Sibylla ihr genau diese Frage stellte. Sie schluckte und zögerte, bis sie schließlich gestand: »Ich stamme aus einem verfluchten Geschlecht.«
    »Dein Vormund ist ein gemeiner Kerl. Nur, weshalb solltest du für seine Missetaten büßen?«, widersprach Sibylla leidenschaftlich.
    Mutlos ließ Änne die Hände mit den Leinenstreifen in den Schoß sinken. »Nicht er ist verflucht, ich bin’s. Er hat mich nur aus Barmherzigkeit und Christenpflicht bei sich aufgenommen, als meine Eltern starben.«
    »Warum sollte dein Geschlecht verflucht sein?«, fragte Sibylla hartnäckig. Sie wollte unbedingt die Jüngere trösten, die ihr gestern mit so geschickten Händen geholfen hatte und dabei selbst ein geschundenes Wesen war. Sie überlegte schon, ihr mit irgendeiner ausgedachten Wahrsagung die Sache mit dem Fluch auszureden. Am Ende waren alle Prophezeiungen reine Phantasie, so hatte sie es von der alten Delia gelernt, die eigentlich Hanne hieß, diesen Namen aber nicht klangvoll genug für ihr Gewerbe fand.
    »Schau den Menschen auf die Hände und erzähl ihnen etwas von langen Lebenslinien, das wollen sie hören«, hatte die gewiefte Alte oft genug gesagt. »Aber vor allem schau ihnen ins Gesicht! Dort liest du alles, was du wissen musst: ob sie eitel sind, gierig, mutlos oder verliebt. Oder alles zusammen. Und dann sag ihnen, was sie sich wünschen. Umso freigiebiger werden sie dich bezahlen.«
    Änne stiegen Tränen in die Augen.
    »Ein verfluchtes Geschlecht«, wiederholte sie so leise, dass Sibylla es kaum hören konnte. »Meine Vorfahren waren die Begründer von Freiberg, Christian und Marthe, eine Heilerin. Es heißt, sie seien beide außergewöhnlich tüchtig gewesen – so sehr, dass sie bald die Aufmerksamkeit vieler Feinde auf sich zogen und vernichtet wurden.« Änne schluckte, bevor sie noch leiser weitersprach. »Und so ging es bisher jedem ihrer Nachfahren: erst durch große Tüchtigkeit zu Ansehen gekommen, dann grausam ermordet oder in Armut oder Schande gestorben …«
    »Wenn das so ist, hast du doch nichts zu befürchten«, sagte Sibylla, die zu Ännes Erstaunen nicht entsetzt von ihr abrückte, sondern leise lachte.
    Sanft hob die Wahrsagerin Ännes gesenkten Kopf an und wischte ihr die Tränen ab.
    »Schau dich an in deinem Prachtstaat«, sagte sie lächelnd und strich über Ännes zerschlissenes graues Kleid. »Ich würde nicht gerade sagen, dass du derzeit in höchstem Ansehen stehst.«
    Nun musste Änne doch lächeln, wenn auch mühsam und unter Tränen.
    »Ich wünsche mir nur, dass es nicht weh tut«, sagte sie nach kurzem Schweigen.
    »Was? Das Sterben?«
    Sibyllas Lächeln erlosch. Ihr Blick verhärtete sich. »Im Krieg gibt es keine schmerzlose Art zu sterben.«
    Am liebsten hätte sie sich beide Hände auf die Ohren gepresst, denn mit einem Mal hörte sie wieder die Schreie ihrer Gefährten, als sie von den Männern des Königs erschlagen oder erstochen wurden, das merkwürdig gurgelnde Geräusch, mit dem die Kinder an ihrem eigenen Blut erstickten.
    »Ich weiß«, wisperte Änne. Sie zögerte, dann sprach sie so leise, dass sich Sibylla zu ihr hinüberbeugen musste. »Manchmal träume ich davon. Ich sehe die Stadt brennen, ich sehe Bewaffnete, die sich nachts einschleichen und dann plündernd und mordend durch die Gassen ziehen. Ich sehe Menschen sterben, die ich kenne …«
    Fröstelnd zog sie die Schultern hoch, während diesmal Sibylla betroffen schwieg.
    Vermochte dieses verängstigte Mädchen tatsächlich, was sie, die Wahrsagerin, nicht vermochte – in die Zukunft zu blicken? Aber wahrscheinlich war es nur Furcht vor dem, was sie erwartete, wenn die Männer des Königs die Stadt einnahmen. Solche Alpträume hatte wohl jeder, vor dessen Stadt ein zehntausend Mann starkes Heer stand.
     
    Die Ratsstube am Obermarkt war diesmal übervoll, denn nicht nur die zwölf Ratsherren waren auf Ulrichs Aufforderung erschienen, sondern auch das Dutzend Männer, die in Friedrichs Auftrag über die Angelegenheiten der Bergleute entschieden und richteten.
    Bislang hatten vor allem die Ratsherren gesprochen, und der Burgkommandant besaß genug Menschenkenntnis, um zu erkennen, dass sie diese Argumente schon früher in seiner Abwesenheit ausgetauscht hatten.
    Während vor allem der Bürgermeister, der

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