Blut und Sünde
Gegend. Nieselregen fiel noch immer und durchkreuzte auch den Schein der zwei einsamen Bogenlampen, die an der Rückseite des Hauses hingen. Wenn der Regen das Licht traf, verwandelten sich seine Tropfen in kleine Diamantsplitter, die sich wieder verdunkelten, sobald sie den Schein verlassen hatten.
Gorman stieg zuerst aus. Erst als er die Tür zugeschlagen hatte, kletterte Florence aus dem Fahrzeug. Sie bewegte sich wie eine alte Frau, das sah Gorman genau, und er war bestimmt nicht froh darüber. Die Fahrt über hatte er sich nur wundern können, denn Florence war seiner Meinung nach zu einer anderen Person geworden. Sie hatte nichts mehr mit der jungen Frau gemein, die er kannte. Sie wirkte müde und abgeschlafft. Zudem war sie mundfaul und hatte auf Fragen kaum geantwortet. Die Augen hatte sie geschlossen gehalten, ebenso ihren Mund, und sie hatte wie eine Tote im Auto gesessen. Selbst ihr Atmen hatte er kaum vernommen. Sie war einfach nur still gewesen.
Jetzt stand sie vor dem Fahrzeug, und ihre gebückte Haltung veränderte sich. Florence richtete sich auf. Durch ihr Gestalt ging ein regelrechter Ruck. Sie hatte wieder Energie tanken können und schaute sich um.
Gorman ging zu ihr. »Geht es dir wieder besser?«
»Ich denke schon.«
»Wunderbar. Und es bleibt dabei, dass du zuerst in die Garderobe gehst und dich dort umziehst, aber allein bleiben willst?«
»Das hat sich nicht geändert.«
»Was soll ich Katharina sagen?«
»Dass sie mich in Ruhe lassen soll.«
»Kommst du denn zur Bühne?«
»Sicher. Im Kostüm. Keine Sorge, Osmin, ihr werdet mit mir zufrieden sein.« Sie ließ ihn stehen und ging geradewegs auf die hintere Tür des Gebäudes zu. Es war ein breiter Eingang. Das musste so sein, denn durch ihn wurden auch die Kulissen geschleppt. Sie zog die Tür auf, sah das Licht, hörte Musik, auch Stimmen - eine Atmosphäre, in der sie sich als Vampir durchaus wohl fühlen konnte.
Wenig Helligkeit. Nur das nötigste Licht. Staub flirrte durch die Luft. Scheinwerfer klemmten auf dem Schnürboden der Bühne und schickten ihre langen Strahlen schräg in die Tiefe, aber nicht hier in den Hintergrund hinein.
Der Weg zu den Garderoben führte nach links. Osmin wollte zu seiner Frau. Er musste nach rechts gehen und stellte noch eine Frage. »Wann ungefähr können wir dich erwarten? Es ist nicht mehr viel Zeit. Fünfzig Minuten bis zum Beginn.«
»Das reicht aus. Ich bin in einer halben Stunde spätestens bei euch.«
»Okay, wir verlassen uns darauf.«
Er ließ Florence stehen, die so lange wartete, bis er nicht mehr zu sehen war. Dann erst machte sie sich auf den Weg zu den Garderoben. Er führte sie hinter der Bühne entlang, deren Rückseite durch Vorhänge und breite Tücher abgedeckt war.
Niemand kam ihr entgegen. Alle Mitwirkenden hielten sich auf der Bühne auf, um noch letzte Vorbereitungen für den großen Auftritt zu treffen. Alle waren nervös, und das wäre sie auch gewesen, wenn man sie noch als normalen Menschen hätte bezeichnen können. Das war sie nicht. Sie gehörte jetzt zu den Geschöpfen der Nacht, die darauf aus waren, das Blut anderer zu trinken. Die Gier hatte sich während der Fahrt verstärkt. Sie brauchte Nahrung, frische Nahrung. Sie wollte trinken, schlucken, saugen, denn sie musste stark werden, um für die anderen Aufgaben gerüstet zu sein.
Obwohl sie noch keinen Saft der Menschen getrunken hatte, fühlte sie sich besser als auf der Fahrt.
Es war einfach das Wissen, dass es bald soweit sein würde, und auf ihrem Gesicht zeichnete sich ein dünnes Lächeln ab.
Den Flur kannte sie. Es gab zwar Licht, aber das störte sie nicht besonders. Draußen war es dunkel, und die Finsternis des Abends schickte bereits ihre Kraft, die auch Mauern durchdrang, so dass sich Florence fast locker bewegte.
Vor der Garderobe blieb sie stehen. Sie brauchte keine Sorgen zu haben, dass der Raum von anderen Akteuren besetzt war. Um diese Zeit waren alle schon fertig. Marsha, die als Friseuse und Visagistin fungierte, hielt sich ebenfalls auf der Bühne auf, um hier und da noch etwas nachzuschminken.
Leise öffnete die Blutsaugerin die Tür.
Es war dunkel. Wunderbar. Sie ging den ersten Schritt. Dann machte sie doch Licht, aber sie schaltete nur die Deckenleuchte an und nicht die schmalen Lampen, die rechts und links der Spiegel hingen.
Es gab fünf davon, die dicht beieinander lagen. Darunter befand sich der lange Tisch, der auch in eine Küchenzeile gepasst hätte, und vor den
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