Blut und Sünde
öffnete. Sehr vorsichtig, wie von einer Person, die sich nicht so recht traute, den Raum zu betreten.
Florence Turner ging zur Seite, dann nach vorn und sorgte dafür, dass sie in den toten Winkel kam.
Eine Frau betrat die Garderobe. Es war Marsha, die Visagistin. Im Gegensatz zu den Akteuren wirkte sie bieder mit ihrem weißen Kittel, der ihre Rundungen kaum vertuschen konnte. Sie war klein, das blonde Haar trug sie kurz geschnitten, und ihr Gesicht erinnerte an das eines weiblichen Gartenzwergs. Dass sie mit Schminke, Puder, Creme und Schere so perfekt umgehen konnte, sah man ihr nicht an.
Marsha schaute sich um und musste den Kopf erst nach links drehen, um Florence zu sehen.
»Da bist du.«
»Sicher.«
»Du bist ja schon fertig.«
»Wundert dich das? Hast du gedacht, ich könnte mich nicht allein schminken?«
»Nein, nein, das nicht, auf keinen Fall. Katharina meinte nur, dass ich nach dir schauen sollte. Eigentlich wollte sie selbst kommen, aber ich habe sie davon abhalten können.«
»Warum denn?«
»Sie steht unter Stress - ehrlich. Ich weiß nicht, ob etwas schiefgelaufen ist, aber in ihrem Zustand wollte ich sie nicht zu dir kommen lassen.« Marsha lächelte lieb, wie sie es immer tat, doch das sah Florence jetzt anders. Diese Frau war für sie keine Freundin oder Kollegin mehr, sondern nur ein Opfer. Das erste in der langen Reihe, denn in ihren Adern floss der Saft, den Florence brauchte.
Marsha kam auf sie zu. Sie lächelte, doch das Lächeln verschwand schon sehr bald. Unsicherheit trat in ihren Blick. Sie blieb stehen und schüttelte den Kopf.
»Hast du was, Marsha?«
»Sorry, ich weiß es nicht so genau.«
»Raus damit!«
Sie gab die Antwort auf ihre Weise und drehte den Kopf nach links, um in die Spiegel zu schauen. Ihre Gestalt malte sich darin ab, nicht aber die von Florence.
Marsha fing an zu stottern, während ihr Gesicht rot anlief. »Wie… wieso ist das nicht… ich meine, du bist nicht zu sehen. Ich aber schon. Wir hätten doch beide…«
»Manchmal nicht.«
Marsha wusste nicht, was sie mit dieser Antwort anfangen sollte. Noch immer schaute sie auf den Spiegel, in dem sie nur ihre Gestalt entdeckte. Deshalb sah sie auch nicht, dass Florence so leise wie möglich von der Seite her auf sie zuging. Erst als sie Marsha fast erreicht hatte, wurde diese aufmerksam.
Sie drehte den Kopf. Sie schaute Florence an, die schon ihren Mund geöffnet hatte. Zwei spitze Zähne schauten hervor. Der Blick war gnadenlos, und Marsha ging in diesem Moment ein Licht auf. Diese Person vor ihr hatte sich nicht verkleidet und sich auch kein falsches Gebiss eingesetzt. Die war echt!
Marsha öffnete den Mund. »N… ein…«
»Doch!« sagte Florence nur und tat, was sie tun musste…
***
Das Theater nannte sich schlicht nur FACTORY. Fabrik also, und es sah tatsächlich aus wie eine Fabrik. Außen als auch innen. Es war dunkel, fast schwarz und lag in einer Gegend, die zu einem Kulturzentrum für Nachwuchskünstler ausgebaut werden sollte. Bisher war man noch nicht fertig geworden, nur einige der alten Hallen waren belegt und innen entsprechend umgebaut worden. Wir konnten uns auf das Gelände und auch bis dicht vor das Theater bringen lassen. An der Frontseite hing ein großes, grell bemaltes Plakat, das von vier verschiedenen Seiten angeleuchtet wurde, damit jedes Detail zur Geltung kam. Über der gemalten Szenerie schwebte der Titel.
IN THE DARKNESS!
Darunter musste der Künstler die Bühnendekoration hinterlassen haben. Särge, die von Mönchen bewacht wurden. Hohe Kerzen, die in eisernen Ständern standen und einen schwachen Schein abgaben, der kaum die Gesichter in den hochgezogenen Kapuzen erreichte. In einem Sarg hockte eine ganz in Weiß gekleidete und sehr erotisch wirkende junge Frau, die dabei war, ins Freie zu klettern.
Im Hintergrund warteten ein Mann und eine Frau. Der Mann war dunkel angezogen, die Frau neben ihm trug ein rotes Kleid aus Latex mit einem breiten und sehr tiefen Ausschnitt. Die Haare wurden von einer breiten Haube verdeckt, die aussah wie die Flügel eines riesigen Vogels, Der Haubenstoff war dunkel wie das Gefieder einer Krähe.
Lady Sarah hatte die Rechnung beglichen. Jane und ich schauten uns das Bild an, und unsere Lippen hatten sich zu einem Lächeln gekräuselt.
»Sehr gut gemacht, John.«
»Finde ich auch«, sagte die Horror-Oma, die sich zwischen uns drängte.
»Dann gefällt es dir noch immer.«
»Klar, mein Junge. Du glaubst gar nicht, wie gespannt
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