Blut Von Deinem Blute
über exakt dieselbe Summe, die wir nach der Tat in seinem Sekretär fanden.«
»Folglich hatte Bradley noch nichts von dem Geld ausgegeben, als er ermordet wurde«, schloss Leon.
»So sieht's aus.« Archer strich wieder über seine Glatze. »Es waren ein paar tausend Pfund, also wahrlich keine große Summe, wenn man die Vermögensverhältnisse kennt. Aber dieser Bradley war ein echter Geizkragen, und ...« Er hielt nachdenklich inne. »Wissen Sie, ich habe mich seit damals immer wieder gefragt, was ihm so wichtig gewesen sein könnte, dass er derart viel Geld dafür lockermacht.«
Das ist allerdings eine interessante Frage, dachte Leon. »Sein Stiefsohn soll zu dieser Zeit eine Menge Spielschulden gehabt haben«, bemerkte er beiläufig.
Doch sein Gastgeber fegte dieses Argument sofort wiedervom Tisch. »Oh nein, mit dem wilden Julien hatte dieses Geld garantiert nichts zu tun«, sagte er, und es klang sehr sicher. »Bradley war ein Mann, der von seinen Kindern erwartete, dass sie für ihre Fehler selbst geradestehen. Er wäre niemals auch nur auf den Gedanken gekommen, diesem Hallodri aus der Klemme zu helfen.«
»Und wenn das Geld aus Bradleys Sekretär fort gewesen wäre?«, insistierte Leon. »Hätten Sie dann Julien Bresson der Tat verdächtigt?«
»Möglich«, sagte Archer. »Er war kein besonders erfreulicher Bursche«, räumte er ein. »Hing herum und vertat seine Zeit in irgendwelchen zwielichtigen Clubs.« Er lächelte listig. »Im Grunde der ideale Sündenbock, wenn er nur irgendeinen Vorteil aus der Sache geschöpft hätte.«
»Aber das hat er ja leider nicht«, merkte Leon mit leisem Sarkasmus an.
»Nein, das hat er nicht. Im Gegenteil: Mit dem Tod seiner Mutter versiegte seine einzige Geldquelle, wenn wir mal davon ausgehen, dass sie ihm trotz der Sparsamkeit ihres Mannes ab und an mal was zugesteckt hat. Aber da die Eheleute Bradley kein Testament gemacht hatten und Jacqueline Bresson nachweislich als Erste starb ...« Archer ließ den Satz offen und sah Leon an.
»... beerbte, juristisch gesehen, zunächst Nicholas Bradley seine Frau, bevor er selbst getötet wurde«, führte dieser den Gedankengang weiter, voller Erstaunen darüber, welche neuen Perspektiven sich daraus ergaben.
»Und für Jacqueline Bressons Sohn blieb, entschuldigen Sie den Ausdruck, die sprichwörtliche Arschkarte übrig«, ergänzte Archer.
Leon sah das bleiche Gesicht mit den brennenden dunklenAugen vor sich. Ich muss nicht bezahlen. Dieser ganze Laden hätte mir gehört!
»Der Junge hatte wenig von dem, was man gemeinhin Glück nennt«, murmelte sein Gastgeber leise vor sich hin. »Weder im Spiel noch was sein Erbe betraf.«
Leon nickte und überlegte, ob die Weichheit, die sich in Archers Ton geschlichen hatte, wohl ein Indiz dafür war, dass der pensionierte Beamte Jacqueline Bressons Sohn gemocht hatte. Oder doch zumindest etwas wie Mitleid für ihn empfand. »Und wenn Bradley als Erster getötet worden wäre?«, fragte er.
»Dann hätte Julien Bresson rund die Hälfte des Vermögens geerbt.« Archer lehnte sich zurück, und ein gewieftes Lächeln breitete sich über seine asketischen Züge, als er einschränkend hinzusetzte: »Vorausgesetzt natürlich, die Todeszeitpunkte hätten ähnlich weit auseinandergelegen. Wenn sich die Gerichtsmediziner hingegen nicht sicher gewesen wären, was die Reihenfolge angeht, wäre es vermutlich auf eine lange und schmutzige Auseinandersetzung der Anwälte hinausgelaufen.«
Wie praktisch, dass die böse Stiefmutter so freundlich war, sich als Erste abschlachten zu lassen, dachte Leon mit einem Anflug von Sarkasmus.
Archer schien seine Gedanken zu erraten. »Tja«, sagte er, »nennen Sie es Pech oder nennen Sie es von mir aus auch Schicksal, aber diese zwei Stunden, die zwischen Jacqueline Bressons Tod und Bradleys Ermordung lagen, machten für den wilden Julien damals den Unterschied zwischen einem Millionenerbe und einer Mordanklage.«
Zwei Stunden ...
Der alles entscheidende Faktor Zeit.
»Was ist mit Mias Schwester?« Leon war durchaus nicht entgangen, dass sein Gastgeber bislang kein Wort über Laura verloren hatte. Aber er wusste auch, dass er sich nicht scheuen durfte, nach ihr zu fragen. Der Geschichtswissenschaftler geht mit einem bestimmten Erkenntnisinteresse an seinen Gegenstand heran . ..
»Laura?« Archer hob den Blick. »Die habe ich nie leiden können.«
Die Direktheit seiner Antwort nahm Leon buchstäblich den Atem.
»Sie ist damals ausgesprochen cool
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