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Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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er genauso gut die Treppe hätte benutzen können. Aber da er ohnehin kein Ziel hatte, keine Idee, was er mit dem Rest dieses total verkorksten Tages anstellen sollte, kam es nicht darauf an, schnell zu sein. Eher im Gegenteil.
    Er hatte geduscht, sich eine Weile kreuz und quer durch das englische und französische Fernsehprogramm gezappt und wenig erfolgreich versucht, sein aus der Bahn geworfenes Gleichgewicht wiederzufinden. Und nun war er auf dem Weg nach unten. Was auch immer er dort anstellen sollte.
    Seine Augen fixierten die aggressive rote Fünf, die ihm aus dem Feld über dem Aufzugknopf entgegenleuchtete. Wahrscheinlich blockierte irgendeine Angestellte den Lift mit ihrem Wäschewagen.
    Er trat an die Glastür, die links von ihm den Zugang zur vergitterten Feuerleiter des Hauses verschloss. Draußen raste noch immer der Sturm, auch wenn die Intensität des Windes allmählich abzunehmen schien. Es dämmerte bereits, nur am äußersten Horizont zeigte sich noch ein bläulicher Schein, den die längst untergegangene Sonne in die heraufziehende Nachtschwärze goss. Leon legte beide Hände gegen das Glas, um besser sehen zu können. Aus den Fenstern der Hotelküche fiel Licht auf die Mülltonnen an der rückwärtigen Mauer, und er dachte daran, dass Jacqueline Bresson sich dort heimlich mit Essensresten versorgt hatte.
    Die war richtig krank, was das Essen anging, erinnerte ihnBernadette Labraque. Heute machen sie da eine Krankheit draus, aber wenn Sie mich fragen, ist das einfach eine Charakterschwäche.
    Leon verdrängte den neuerlichen Gedanken an seine Schwester und beugte sich etwas zur Seite, um herauszufinden, ob das Herrenhaus von dieser Stelle aus zu sehen war. Doch ein vorspringender Gebäudeteil versperrte die Sicht.
    Allerdings erregte etwas anderes seine Aufmerksamkeit.
    Eine Bewegung ...
    Da war ein Schatten in der Gasse hinter dem Hotel. Eine Person in einem dunklen Parka. Seltsamerweise wusste Leon sofort, dass es Laura war, auch wenn er von ihrem Gesicht nicht das Geringste erkennen konnte. Vielleicht lag es an der Art, wie sie sich bewegte. Oder es war ein Instinkt.
    Der untrügliche Instinkt eines Liebenden, ha, ha!
    Er lachte ironisch auf, während seine Augen Lauras Silhouette folgten. Sie schien es eilig zu haben. Trotzdem blieb sie am hinteren Tor des Hotels kurz stehen und sah sich um. Dann ging sie weiter, direkt auf den Durchgang der Lieferanteneinfahrt zu, und irgendetwas an ihrem Verhalten gab Leon zu denken. Da war eine Vorsicht, die nicht zu ihr passte. Ein Ausdruck zögernder Unsicherheit ...
    Leon hingegen zögerte nicht.
    Er stieß die Tür zum angrenzenden Treppenhaus auf und rannte die Stufen hinunter. In der Halle wandte er sich nicht nach rechts, Richtung Haupteingang, sondern versuchte es an der Seitentür, die die Angestellten benutzten, um leere Getränkekästen in den Hof hinaus zu karren. Und er hatte Glück: Die Tür war unverschlossen.
    Leon trat in den Hof hinaus und rannte ohne viel Federlesenszur Lieferanteneinfahrt hinüber. Ein Gefühl elementarer Sorge trieb ihn an, etwas, von dem er wusste, dass Laura es nicht verstehen würde. Und das er trotzdem nicht ignorieren durfte.
    Er blickte die verwaiste Straße hinunter und entdeckte den dunklen Parka in einiger Entfernung auf der anderen Straßenseite.
    Sie ging noch immer schnell, schien jedoch bemüht, nicht aufzufallen.
    Leon atmete tief durch. Dann schob er die Hände in die Taschen seiner viel zu dünnen Jacke und ging ihr nach.

16
    Bereits auf dem Weg in den Park kamen Laura erste Zweifel. Zwar hatte der Regen eine Pause eingelegt, aber die Straßen sahen aus, als sei ein Tornado über sie hinweg gefegt. Überall lagen Äste und Blüten, die der Sturm irgendwo mitgerissen und an anderer Stelle wieder abgeladen hatte. Von der Mauer einer Hotelanlage hatte er gleich mehrere schwere Terrakottatöpfe heruntergeweht. Zwischen den verstreuten Scherben konnte Laura mit einiger Mühe Oleander und Blumenerde ausmachen.
    »Willkommen im Paradies«, flüsterte sie ironisch, indem sie sich den Parka ihrer Schwester noch enger um den Körper zog.
    Die regenschwere Luft war zäh wie Leder, und Laura überlegte, ob der Lichtstrahl, den Corbiere Lighthouse aussandte, bei einem solchen Wetter überhaupt zu sehen war.Reichte die moderne 1000-Watt-Lampe aus, um die undurchdringliche Schwärze, die über der Insel lag, zu durchbrechen? Gab es so etwas wie Orientierung überhaupt, auf dem Meer, im Leben, irgendwo? Oder lockte der

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