Blut Von Deinem Blute
Rücken. Stand Gelb nicht auch für Eifersucht?
Das Rattern eines Druckers riss ihn aus seinen Überlegungen. Ginny Marquette quittierte den Rechnungsbetrag und reichte ihm den Ausdruck über den Tresen der Rezeption. Doch ihr Blick glitt an ihm vorbei zum Eingang des Hotels.
Leon drehte sich um und entdeckte einen Mann, der wie ein Taxifahrer aussah.
»Meine Mutter hat heute Geburtstag«, erklärte Ginny Marquette, die bereits stand, als sei sie ihm irgendeine Erklärung schuldig.
»Viel Spaß«, sagte Leon, und sie reagierte mit einem gequälten Lächeln. »Eins hätte ich allerdings gern noch gewusst ...«
Kein Zweifel, sie war entnervt. Aber sie blieb stehen. Immerhin ...
»Können Sie sich irgendein Motiv für den Doppelmord vorstellen?«
Sie sah auf den blank polierten Tresen hinunter. »Hass«, sagte sie leise. »Jemand muss ihn sehr gehasst haben ...«
»Ihn?« Leon fixierte ihren Haaransatz. »Dann gehen Sie also davon aus, dass Nicholas Bradley das eigentliche Ziel der Bluttat gewesen ist?«
Ginny Marquette wirkte ehrlich überrascht. »Ja, natürlich.«
»Wieso natürlich?«
»Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Jacqueline ...« Jetzt geriet sie auf einmal doch ins Schwimmen. »Ich meine, vielleicht ist es ja tatsächlich ein Versehen gewesen. Das mit ihr, meine ich.«
Leon zog die Augenbrauen hoch. »Ein Versehen?«
»Vielleicht«, entgegnete Ginny, »ist sie einfach nur zurfalschen Zeit am falschen Ort gewesen.« Dann riss sie die Rose aus der Vase, griff nach einer Papptüte, die unter dem Tresen gestanden hatte, und schob sich mit entschlossener Miene an ihm vorbei. »Gute Nacht, Sir«, sagte sie kühl. »Und falls wir uns nicht mehr sehen: gute Heimreise.«
14
Mia war im Atelier ...
Mia war vielleicht im Atelier ...
Wer konnte wissen, ob Mia wirklich im Atelier war?!
Niemand, dachte Laura, und auf einmal war sie froh über den Wind, der seit Stunden in gleich bleibender Stärke über die Insel fegte und die kaputte Regenrinne so wütend gegen die Hauswand schlug, dass man den Eindruck gewinnen konnte, er sei ihrer maroden Existenz ein für alle Mal überdrüssig. Erst nach einer halben Stunde Stille auf der anderen Seite der Tür hatte sie gewagt, das Gesindezimmer zu verlassen, um hinauf in ihr Zimmer zu gehen. Und die Halle hatte ihre schlimmsten Befürchtungen übertroffen. Mia hatte die Tür mit Äpfeln bombardiert, denselben Äpfeln, die sie eingekauft hatte, um Bratäpfel zu machen. Einige von ihnen waren angebissen, die anderen durch die Wucht des Aufpralls zu einer formlosen gelbbraunen Masse verkommen. Auf dem Boden, an der Tür, sogar an den umliegenden Wänden klebte zäher brauner Fruchtbrei.
Laura hatte das Chaos begutachtet und gestaunt über den jahrzehntealten Hass, der sich auf diese kindische WeiseBahn gebrochen hatte. Und auch über ihre eigene Naivität, über die Selbstverständlichkeit, mit der sie angenommen hatte, dass sich die Vergangenheit auf diese Insel sperren ließ. Sie war fortgegangen. Sie hatte einen Schlussstrich gezogen. Und nun musste sie erkennen, dass dieser Schlussstrich nichts als eine billige Illusion gewesen war. Einseitig, wirkungslos. Mia hatte den Schlussstrich, den ihre Schwester unter ihre gemeinsame Kindheit gezogen hatte, nie akzeptiert. Und sie hatte all die Jahre auf eine Gelegenheit wie diese gewartet. Daran hegte Laura nicht mehr den geringsten Zweifel. Aber wer war diese Frau, mit der sie bis auf ein paar lächerliche Chromosomensätze nichts gemein hatte? Ein aufbrausendes kleines Kind im Körper einer Erwachsenen? Oder etwas viel Gefährlicheres? Wie viel von dem, was Mia tat, war echt, wie viel nur Show? Spielte sie Spielchen? Oder war es ihr am Ende doch bitterernst?
Laura dachte an den Kriminalbeamten mit den stechenden Augen. An etwas, das er während einer der Befragungen gesagt hatte.
»Der Kopf Ihres Vaters ist zu Brei geschlagen worden, aber das scheint Sie ja nicht weiter zu interessieren ...«
Ihr Anwalt Dr. Merrywater hatte mahnend die Hände gehoben.
Und der Polizist mit den stechenden Augen hatte resigniert den Blick abgewandt. »Schon gut, schon gut. Vergessen Sie's.«
Es ist meiner Schwester ernst, dachte Laura. So ernst, dass sie sogar noch die Äpfel zu Brei geschlagen hat!
Das Geräusch ihrer Schritte auf der Treppe ging unter im Toben des Sturms. Sie hatte das Wetterfesteste angezogen,das sie besaß: eine dunkle Hose aus schwerem Stoff und einen dazu passenden Pullover. Nun überlegte
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