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Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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reinweiß und teuer wie Mias Leinwände. Vielleicht hatte Mum vor, diesen Zettel jemandem zukommen zu lassen, versuchte sie, ihren Gedanken wieder eine konkrete Richtung zu geben. Als eine Art Hilferuf. Aber wem?
    Sie hob den Zettel gegen das Licht der Lampe, die sie angeknipst hatte, um die Düsternis des Herrenhauses aus dem Gesindezimmer zu vertreiben. Soweit sie sich erinnerte,hatte ihre Mutter keine anderen Freundinnen gehabt und auch keine Verwandten. Nichts als flüchtige, oberflächliche Bekanntschaften. Ihre Geburtstage hatte Louisa Bradley mit ihrem Mann, ihren Töchtern, Cora und den Marquettes gefeiert. Nie war irgendjemand anderes dabei gewesen, wenn es einen Anlass zum Feiern gegeben hatte.
    Nur dieser beschränkte Personenkreis ...
    Und sonst?, überlegte Laura weiter, während die alten Dielen vor ihren Augen zu schwimmen begannen. Von wem hat meine Mutter gesprochen, mit wem könnte sie vielleicht in Briefkontakt gestanden haben? Na klar!, schoss es ihr durch den Sinn. Die Lehrerin! Ihre Mutter war ebenso wie Mia und sie in St. Andrews gewesen, einer angesehenen Privatschule im Zentrum der Hauptstadt St. Helier. Und sie hatte seit ihrer Schulzeit Kontakt zu einer ehemaligen Lehrerin gepflegt, die sie auch hin und wieder besucht hatte. Wie hatte die noch gleich geheißen? Bi ... Ja, dachte Laura elektrisiert, es war irgendwas mit »Bi« am Anfang. Sie überlegte einige Minuten fieberhaft, doch der Name wollte ihr einfach nicht einfallen.
    »Macht nichts«, murmelte sie, indem sie den mysteriösen Zettel zusammenfaltete und in ihre Hosentasche schob. Eigentlich brauchte sie nur in St. Andrews nachzufragen, wer dort unterrichtet hatte, als ihre Mutter ein Kind gewesen war. Bestimmt führten sie dort eine Art Chronik. Und wenn sie den richtigen Namen las, würde sie sich unter Garantie erinnern!
    Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und stellte fest, dass es bereits zu spät war, um im Sekretariat der Schule noch jemanden anzutreffen. Also würde sie wohl oder übel bis morgen warten müssen. Sie seufzte. Natürlichkonnte sie genauso gut Cora fragen. Doch die würde zweifellos wissen wollen, warum sich die Tochter ihrer verstorbenen Freundin auf einmal für eine alte Lehrerin interessierte. Und was sollte sie auf eine solche Frage antworten? Wenn sie erzählte, was sie an diesem Nachmittag entdeckt hatte, würde ihre Patentante nicht zulassen, dass sie im Herrenhaus wohnen blieb. Aber genau das musste sie, wenn sie weiterkommen wollte. Sie war zutiefst davon überzeugt, dass sie noch längst nicht alles entdeckt hatte, was es in ihrem Elternhaus zu entdecken gab. Und so lange musste sie bleiben – koste es, was es wolle.
    »Also doch die Schule«, resümierte sie laut und entschlossen. »Ich fahre gleich morgen früh hin und erkundige mich!«
    Während sie den Nachlass ihrer Mutter sorgfältig wieder in den Koffern und Kisten verstaute, kamen ihr jedoch bereits erste Zweifel an der Umsetzbarkeit ihrer Pläne. Ihre Mutter wäre jetzt sechzig Jahre alt. Wie alt musste dann eine Lehrerin sein, die sie unterrichtet hatte? Achtzig? Fünfundachtzig? Oder noch älter? Was, wenn die Frau, von der sie sich Aufschluss über den mysteriösen Zettel erhoffte, längst tot war?
    Einen Versuch ist es allemal wert, dachte sie trotzig, indem sie den Deckel des letzten Koffers zuklappte. Dann trug sie das zerschnittene Kleid und den Gedichtband, in dem der mysteriöse Zettel gesteckt hatte, hinauf in ihr Zimmer, wo sie beides zusammen mit dem Zettel in eine leere Plastiktüte stopfte und unter ihrer Matratze deponierte. Irgendwie schien es ihr sinnvoll, die Sachen zu verstecken, auch wenn ihr bewusst war, dass sich ganz offenbar jahrzehntelang niemand dafür interessiert hatte.
    Im Spiegel sah sie, dass ihr T-Shirt tellergroße Schweißflecken aufwies. Also zog sie sich um und ging anschließend wieder nach unten, wo sie die Nummer ihrer Patentante wählte. Sie gab sich alle Mühe, so unbekümmert wie möglich zu klingen, als sie sich erkundigte, ob es Cora recht sei, wenn sie später noch auf einen Tee bei ihr vorbeikäme. Cora zeigte sich hocherfreut und stellte ihr umgehend eine »besondere kulinarische Überraschung« in Aussicht, was in Laura den Verdacht nährte, dass ihre Patentante insgeheim bereits mit ihrem Besuch gerechnet und sich entsprechend vorbereitet hatte.
    Laura lächelte, als sie sich verabschiedeten, froh über die Aussicht auf einen gemütlichen Abend in einem Wohnzimmer, das die Gespenster des

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