Blutaxt: Die Eingeschworenen 5 - Roman (German Edition)
das alte Grinsen wie zu der Zeit, als sie noch ein Mitglied der Mannschaft war.
» Man sieht das, was man sehen will«, erklärte sie. » Aber wie oft musste ich mit dem Pinkeln warten, bis wir an Land waren. Ein paarmal schaffte ich es nicht und machte mir in die Hose, aber die anderen dachten eben nur, ich stinke. Wie alle Jungs.«
Sie merkte sofort, dass sie etwas Falsches gesagt hatte, und ihr Lächeln wurde unsicher und erstarb.
» Ja, das hast du gut hingekriegt«, sagte Krähenbein, der sich an viele kleine Begebenheiten erinnerte, die ihn jetzt erröten ließen. Aber wenigstens verstand er jetzt die Gefühle, die ihn ab und zu übermannt hatten, und er war erleichtert. Seine Lust hatte also doch einem Mädchen gegolten. Trotzdem verstand er nicht, wie sein Körper so reagieren konnte, auch wenn sein Verstand es nicht gewusst hatte.
» Wusste Grima es?«, fragte er und setzte sich auf. » Bergliot – das war doch dein Name?«
Sie sah, wie angespannt er wirkte, und sie wollte sich zu ihm ans Bett setzen, doch sein Blick traf sie, als hätte er ihr die Fäuste entgegengehalten, und sie trat einen Schritt zurück.
» Bleiben wir ruhig bei Berto«, sagte sie, und es klang etwas schroffer, als sie es beabsichtigt hatte. » Es ist einfacher.«
» Kaum einfacher«, sagte er müde. » Das ist jetzt vorbei.«
» Urteile nicht zu streng«, sagte Thorgunna leise. Er sah sie an. Sie saß da, die gefalteten Hände im Schoß, und er schüttelte den Kopf.
» Ich habe schon genug Probleme mit meinen Männern«, sagte er. » Sie glauben, mein Glück ließe mich im Stich – und vielleicht haben sie ja recht. Und jetzt entpuppt sich auch noch einer ihrer vermeintlichen Kameraden als Kuckuck im Nest.«
» Immerhin ein Kuckuck, der dir das Leben gerettet hat«, erinnerte Thorgunna ihn, aber Bergliot sah sein trotzig vorgeschobenes Kinn, und ihre Zuversicht schwand.
» Grima wusste es«, sagte sie, aber er antwortete nicht. Sie sah, wie er versuchte, die Sache zu verstehen, nachdenklich und mit leicht geneigtem Kopf, wie ein Vogel, der eine Schnecke im Schnabel und einen großen Stein vor sich hat.
» Er hat dich nicht angerührt«, sagte er langsam. » Tat immer so, als seist du ein völlig unbrauchbarer Junge …«
» Er fand mich bei einem Überfall«, erzählte sie. » Er war ganz allein, und erst dachte er, ich sei jemand anderes, dann merkte er, dass ich es nicht war.«
» Aber trotzdem wohl doch von einem gewissen Wert für ihn«, überlegte Krähenbein. » Grima hätte dich doch sofort gebumst und dann den anderen überlassen – aber wahrscheinlich warst du irgendwie nützlich aus seiner Sicht. Er ließ dich Männerkleider anziehen und behielt das Geheimnis für sich, weil er keinem der anderen mehr traute.«
» Eine schlimme Sache«, warf Thorgunna ein, » wenn das Vertrauen erst einmal weg ist. Und wer ist jetzt der Verräter, kleiner Olaf?«
Er sah sie streng an, dann wanderte sein Blick zurück zu Bergliot.
» Du bist ihm über Bord nachgesprungen«, sagte er verwundert. » Warum?«
» Weil Balle mich sonst getötet hätte«, entgegnete sie kurz.
» Aber wer bist du denn überhaupt?«, fragte er.
Sie zuckte die Schultern und er sah, dass sie jetzt zitterte.
» Bergliot. Das ist alles. Grima dachte, ich sei Geira, aber ich war nur ihre Gefährtin, und er merkte, dass der große Fang ihm entgangen war. Er wusste, seine Männer hätten sich über sein Pech lustig gemacht und ihren Frust an mir ausgelassen, wenn sie geahnt hätten, dass ich ein Mädchen bin. Aber ich war auch Geiras Freundin, und Grima wusste, Geira würde ihn gut dafür bezahlen, wenn sie mich zurückbekäme.«
» Geira?«, fragte Krähenbein, und Thorgunna legte den Arm um die Schulter des Mädchens und zog es fort.
» Geira«, sagte sie. » Die älteste Tochter von Burislaw, dem König von Wendland, und somit ebenfalls eine Königin.«
Die enge Vertraute einer Königin also. So vertraut, dachte Krähenbein, dass sie auf jeden Fall einen gewissen Wert darstellte. Das erklärte er später auch seinen Männern, die voll Sorge in den Nebengebäuden der Kirche saßen und warteten, als er mit Bergliot zu ihnen ging.
Sie hatten es schon gehört, und einige brachten es nicht über sich, ihr ins Gesicht zu sehen, wie sie dort stand, in einen warmen, pelzbesetzten Umhang gewickelt – ebenfalls ein Geschenk von Thorgunna, die, wie Krähenbein feststellte, bei ihrem Abschied von Hestreng nicht so verzweifelt gewesen war, dass sie ihre
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