Blutbahn - Palzkis sechster Fall
demnächst mal einen
Bekannten von mir, der hockt dauernd da unten an dem komischen Ammersee herum, der
sollte es wissen. Ich glaube, den kennst du auch, der tritt öfters in zwielichtigen
Kneipen und Büchereien mit seinen skurrilen Percussion-Instrumenten auf.«
Die Fußgängerbrücke,
die so breit war, dass im Notfall ein Krankenwagen entlang fahren konnte, zog sich
über mehrere hundert Meter. Sie überspannte den kompletten Mannheimer Rangierbahnhof,
der nach Hamburg der zweitgrößte in Deutschland war. Ab und an ging seitlich eine
Freitreppe nach unten. Dort befanden sich zwischen den Gleisen diverse Gebäude,
die wohl für das Funktionieren des Rangierbahnhofes benötigt wurden. Die hintersten
zwei Gleise des beeindruckenden Gesamtwerkes aus vielen Kilometern Eisenschienen
wurden von der S-Bahn genutzt, deren Linie von hier weiter nach Heidelberg verlief.
Die Haltestelle Rangierbahnhof war im Moment eine Doppelhaltestelle. Von uns aus
gesehen links vorne befand sich die aktuelle Haltestelle, die voraussichtlich zum
Jahresende stillgelegt werden würde. Rechter Hand, auf der anderen Seite der Fußgängerbrücke,
wurde zurzeit fleißig an der neuen Haltestelle gebaut. Sie würde ungefähr doppelt
so groß sein wie die alte. Ab Anfang nächsten Jahres könnten dann die Besuchermassen,
die zum SAP-Stadion oder zum Maimarktgelände strömten, besser dorthin geführt werden.
Ein gutes Stück, bevor wir die Freitreppen zum S-Bahnhof erreicht hatten, sahen
wir die blutrote S-Bahn auf dem hinteren Gleis stehen. Wenn ich mich nicht irrte,
musste sie, wenn sie auf diesem Gleis stand, aus Heidelberg kommen. Als wir auf
der Höhe der S-Bahn angelangt waren, konnten wir erkennen, dass die Fußgängerbrücke
auch über die parallel zu den Gleisanlagen verlaufende Straße ging und danach schräg
nach unten in einem Wäldchen verschwand. Und genau dort konnte ich auf dem Brückenkopf
ein Reisemobil stehen sehen. Auch Gerhard erkannte sofort die Aufschrift.
»Was, in Teufels
Namen, macht der Notarzt hier?«, fragte er verwundert.
»Lass gut sein«,
antwortete ich, »den schnappen wir uns später. Gehen wir erstmal nach unten und
stellen uns den Kollegen vor.«
Donna Grün blieb uns heute erfreulicherweise
erspart. Das Gelände wimmelte zwar von Bundesbeamten, das Kommando hatte aber das
Polizeipräsidium Mannheim.
Ein freundlich wirkender jüngerer
Mann, so etwa in meinem Alter, allerdings mit leichtem Bauchansatz, kam auf uns
zu. Lächelnd gab er uns die Hand.
»Grüß Gottle, die Herren Palzki
und Steinbeißer, nehme ich an. Mein Name ist Säule, wie die kleine Sau, wie man
in meiner Heimat, dem Schwabenländle, immer sagt.«
Hier war Beherrschung angesagt.
Säule war überaus bemüht, ein akzentfreies Hochdeutsch zu sprechen, doch ein paar
dialektische Schwabenbrocken rutschten ihm hin und wieder durch. Es hörte sich fast
so schlimm an wie ein Pfälzer, der versucht, Hochdeutsch zu sprechen.
»Jo, fer denn Name kenne se jo nix
dezu«, rutschte es Gerhard in derbstem Pfälzisch heraus.
»Was meinen Sie, Herr Steinbeißerle?
Ich habe Sie nicht verstanden.«
»War nicht so wichtig«, mischte
ich mich ein. »Ich nehme an, dass Sie hier die Leitung haben?«
»Ja sicher. Ich bin Kriminalhauptkommissar
wie Sie. Mein Vorgesetzter lässt mir im Außendienst ein freies Händle.«
»Ihr Chef heißt nicht zufällig Benno
was-weiß-ich?«
Das musste ich unbedingt klären.
Bei unserem letzten Fall, der sich zwischen Weihnachten und Silvester teilweise
in der Mannheimer Eichbaum-Brauerei abspielte, hatte ich mit dem Mannheimer Kripochef
Benno zu tun gehabt, von dem ich bis heute den Nachnamen nicht wusste. Wie er damals
ständig wiederholte, war der Silvestertag gleichzeitig sein letzter Arbeitstag vor
seiner Pensionierung. Mit meiner Frage wollte ich sichergehen, dass mir diese Person
heute erspart blieb.
Säule lachte auf. »Den sind wir
glücklicherweise los. Seien Sie froh, dass Sie ihn nicht kennengelernt haben. Aber
sein Nachfolger ist auch nicht viel besser. Der kümmert sich lieber um seine Bonsaizucht.«
Fast flüsternd fügte er an: »Das ist so ein Sesselfurzer, verstehen’s?«
Ich verstand nur zu gut. Vielleicht
sollte ich KPD auch ein paar Bonsais schenken, damit er seine Überraschungsbesuche
im Außendienst aufgab und mehr mit sich selbst beschäftigt war als mit uns. Ich
wechselte zum eigentlichen Thema.
»Haben Sie den Toten identifizieren
können?«
»Der Tote ist
weiblich, Herr Palzki. Sie hatte ihren
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