Blutbahn - Palzkis sechster Fall
ersten Tag Paul zu spät zur Schule bringen
und es würde bestimmt nur wenige Minuten dauern. Was würde das sonst für einen Eindruck
machen?
Den Klassensaal im zweiten Obergeschoss
hatten wir schnell gefunden. Mein Sohn hing zunächst etwas schüchtern an meinem
Hosenbein. Aber so war es halt: Als Neuer musste man da durch. Seine neue Lehrerin
bemerkte es und kümmerte sich sogleich rührend um ihn. Während sie ihn zu seinem
Platz geleitete, kam atemlos eine Frau hereingestürmt.
»Ist hier ein Herr Palzki?«, schrie
sie in den Saal.
Da ich in dem Raum der einzige Mann
war, meldete ich mich. »Ja, das bin ich, wie kann ich Ihnen helfen?« Siedend heiß
fiel mir mein falsch geparkter Wagen ein und ich ergänzte: »Ich fahr sofort weg.«
Doch die Frau ging darauf überhaupt
nicht ein. »Sie sollen schnell runter ins Sekretariat kommen, Telefon. Es wäre etwas
sehr Wichtiges.«
Nanu, außer Stefanie wusste niemand,
dass ich hier war. Verwirrt begleitete ich die Frau ins im Erdgeschoss gelegene
Sekretariat. Eine weitere Dame hielt mir, offensichtlich ohne wissen zu wollen,
ob ich wirklich Palzki war, den Hörer hin.
»Palzki!«
»Na endlich, Reiner«, stöhnte am
anderen Ende eine erleichterte Jutta. »Wir suchen dich überall. Vor ein paar Minuten
haben wir Stefanie per Handy erreicht, sie sagte uns, wo du dich gerade aufhältst.
Dein Handy war wie immer ausgeschaltet.«
Damit hatte sie recht. Ich wusste
nicht einmal, ob ich es überhaupt dabei hatte.
»Was gibt’s so Dringendes?«, hakte
ich nach und mir schwante bereits Übles.
»Kapitalverbrechen in Mannheim am
Rangierbahnhof«, antwortete Jutta sachlich und knapp.
»Na prima, dann kümmern sich bestimmt
die badischen Kollegen um den Fall. Hättest du mir das nicht nachher sagen können,
wenn ich im Büro bin?«
»Du irrst,
Reiner. Dein Dienst hat gerade angefangen. Es gab einen Toten in der S-Bahn.«
Diese Nachricht
haute mich vom Hocker. »Schon wieder einer? Sag bloß, es war erneut ein Teufel am
Werk!«
»Sicher, lieber
Kollege. Und es kommt noch dicker. KPD hat in seinem Übereifer den Fall sofort an
sich gezogen. Das heißt, an uns gezogen. In Absprache mit den Landeskriminalämtern
Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sowie dem normalerweise zuständigen Polizeipräsidium
hat er durchgesetzt, dass diese länderübergreifenden Ermittlungen federführend von
der Kriminalinspektion Schifferstadt geführt werden. Seine Mitarbeiter seien bereits
nahe dran, den Fall zu lösen. Genau das sagte er, ich stand daneben.«
»Der hat doch
einen an der Waffel«, motzte ich über meinen Vorgesetzten. »Das wird die größte
Blamage, die wir je erlebt haben.«
»Um das zu
verhindern, schickt KPD seine fähigsten Beamten nach Mannheim, Gerhard und dich.
Ja, Reiner, auch das hat er wortwörtlich so gesagt. Gerhard holt dich von der Schule
ab. Er müsste jede Sekunde bei dir sein.«
Auch damit hatte Jutta recht. Auf
das Wort ›Sekunde‹ kam mein Kollege zur Tür herein. Ich verabschiedete mich von
Jutta, bedankte mich bei den Damen im Sekretariat und folgte Gerhard zu seinem Wagen.
Dass mein Dienstwagen in der Feuerwehrzufahrt stand, der Gedanke kam mir erst Stunden
später. Doch das war eine andere Geschichte.
»Jetzt müssen wir sogar nach Mannheim
fahren«, schimpfte ich mit einem Blick zu Gerhard, als wir im Auto saßen. »Ob es
in Baden-Württemberg etwas zu essen gibt? Ich mein ja nur, falls es länger dauern
sollte.«
Mein Kollege schmunzelte. »Keine
Ahnung, was dein Pfälzer Magen so alles verträgt. Sicherheitshalber solltest du
drüben nichts Rohes essen. Das dürfte aber für dich freilich keine Einschränkung
sein. Verfluchter Mist –«
Gerhard drückte schon seit Fahrtbeginn
wie wild auf seinem Navi herum. »Die Mannheimer Kollegen empfahlen, in der Morchfeldstraße
zu parken und die Fußgängerbrücke über den Rangierbahnhof zu nehmen. Auf der anderen
Seite wär’s zwar näher, dort gäbe es aber keine Parkplätze. Und genau diese blöde
Straße will das Navi nicht kennen. Es ist zum verrückt werden.«
»Keine Panik, Kollege, machen wir’s
mit meiner Methode. Fahr über den Rhein und dann Richtung Fachhochschule. Dann stimmt
schon mal die Richtung.«
Jeder Einheimische weiß, was es
bedeutet, um diese Uhrzeit über eine der beiden städteverbindenden Rheinbrücken
zu fahren. Irgendwo gab es immer eine Baustelle, nicht selten mehrere gleichzeitig
an strategisch wichtigen Engstellen. Vor ein paar Jahren hatte die Stadt
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