Blutbahn - Palzkis sechster Fall
grenzenlos war. In einem S-Bahn-Abteil herumzuballern, wäre auch
alles andere als vernünftig gewesen, selbst in Notwehr, was hoffentlich nicht eintreten
würde.
Zur Ablenkung schaltete ich das
Radio ein. Doch Bob Marleys ›I Shot the Sheriff‹ wirkte selbst auf mich sarkastisch,
sodass ich es wieder ausschaltete.
Irgendwann erreichte ich ihn, den
großen Parkplatz vor dem Neustadter Hauptbahnhof. Bevor ich mich auf den Weg zu
den Gleisen machte, kaufte ich mir zwei Brezeln als Wegzehrung. Ich fühlte mich
beobachtet, sogar ganz stark beobachtet, so als würden 100 Menschen auf jede meiner
Bewegungen achten. Doch so sehr ich mich auch umblickte, ich konnte bei keiner der
vielen Personen, die sich auf dem Bahnsteig aufhielten, mit Sicherheit sagen, ob
es sich um zivile Kollegen handelte. Vielleicht die ältliche Dame mit dem Blumenstrauß
in der Hand? Nein, Zivilfahnder in diesem Alter gab es bestimmt keine. Oder der
junge Bursche, der mich die ganze Zeit anstarrte, als wäre ich sein Stammdealer?
Ich gab es auf und konzentrierte mich auf die Brezel. Während ich die letzten hartnäckigen
Salzkrümel mit der Zunge aus der Backentasche fischte, fuhr die Linie 2 ein. Blutrot
stoppte sie mit den für sie typischen Geräuschen. Zusammen mit mir stieg rund ein
halbes Dutzend weiterer Personen in den hinteren Zugteil ein. Durch eine leichte
Drängelei gelang es mir, den gewünschten Platz zu besetzen. Mir gegenüber setzte
sich ein Arbeiter, der einen leicht verschmutzten Overall unter seiner offenen Jacke
trug. Er zog eine Bildzeitung aus der Tasche hervor und breitete sie vor seinem
Gesicht aus.
Handelte es sich um einen zivilen
Polizeibeamten, einen harmlosen Fahrgast oder war es die Tarnung des Täters? Drei
Möglichkeiten und ich begann, mich unwohl zu fühlen. Warum war das Leben nur so
schwierig? Hatte ich mir die Festnahme des Teufels zu naiv vorgestellt? Ich dachte
nach. Es konnte kein Beamter sein. Der würde sich nicht zu mir setzen und den Täter
beunruhigen. Damit blieben noch zwei Möglichkeiten offen. Hatte ich wirklich zu
50 Prozent den Täter vor mir sitzen? Schließlich erkannte ich die statistische Falle:
Es gab nur einen Täter aber ganz viele S-Bahn-Fahrgäste, die mich, beziehungsweise
Pit Teufelsreute, nicht umbringen wollten. ›Neustadt-Böbig‹ sagte eine Computerstimme
und kurz darauf bremsten wir. Der Bildungsleser reagierte nicht. Er las die ganze
Zeit auf Seite vier. So viel Text gab es in diesem Medium doch gar nicht. Oder betrachtete
er nur Fotos von Halbnackten wie die wilde Gerti? Na ja, soll er seinen Spaß haben.
Weitere Fahrgäste stiegen zu. Auch
ein Pärchen, das sich als Dick und Doof verkleidet hatte.
»Fahrscheinkontrolle«, hallte es
durch das Abteil. Na prima, dachte ich und blickte über meine Schultern zurück zu
dem Kontrolleur, der in ein paar Metern Entfernung begann, die Tickets zu überprüfen.
Das hatte Jutta vergessen. Oder lag es an meiner Dusseligkeit? Nein, das konnte
nicht sein, oder doch? Mensch, was sollte ich bloß tun? Meine Kollegen werden noch
in Jahren über mich lachen, wenn diese die Anzeige wegen Beförderungserschleichung
bearbeiten würden.
»Ihre Fahrscheine, bitte!« Er war
bei uns angelangt. Der Bildleser zog eine kleine Karte aus seiner Hose, ohne sich
dabei von seiner Lektüre ablenken zu lassen und reichte sie dem Prüfer.
»Danke«, beschied ihn dieser mit
einem kurzen Blick und wandte sich mir zu. »Ihren Fahrschein, bitte«, forderte er
gnadenlos. Warum griff keiner der Zivilbeamten ein? Schnell, führt ihn ab, er stört
eine Polizeimaßnahme. Nichts passierte, außer, dass es dem Kontrolleur zu dumm wurde.
Der Zug hatte den Bahnhof Haßloch erreicht.
»Sie haben kein gültiges Ticket?«
»Ich habe meine Monatskarte zuhause
vergessen«, murmelte ich.
Jetzt wurde der Zeitungsleser neugierig.
Er legte sein pseudopornografisches Werk zur Seite und grinste schadenfroh.
Dem Kontrolleur hingegen konnte
ich die Routine anmerken.
»Haben Sie einen Ausweis dabei oder
einen Führerschein?«
Ich griff in meine Jackentasche
und hätte dabei fast den Sender mit herausgeworfen. Verdammt, Gerhard und Jutta
bekamen das doch mit, warum reagierten sie nicht?
Ich gab ihm meinen Personalausweis
und er verglich das Foto.
»Können Sie bitte einmal Ihre Brille
abnehmen«, forderte er mich auf.
Ich bemerkte, dass er zögerte. Schließlich
gab er sich zufrieden.
»Ihr Ausweis ist seit zwei Jahren
abgelaufen, Herr Palzki«, bemängelte er. »Auch das
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