Blutbahn - Palzkis sechster Fall
und davon.
Ich versuchte, verkleidete Personen, oder zumindest solche, die einen größeren Gegenstand
bei sich trugen, zu identifizieren. Allerdings konnte ich von meinem Sitzplatz aus
nur sehr wenige Personen einschätzen. Da ich in Richtung Zugende saß, befanden sich
die meisten Fahrgäste hinter meinem Rücken.
»Rangierbahnhof«, lautete die nächste
Durchsage. Erfreulicherweise verließ das Rudel Schüler die Bahn. Vermutlich waren
sie auf dem Weg zum SAP-Stadion neben dem Maimarktgelände. Nichts geschah, ich saß
wieder allein. Wir passierten die Haltestellen Seckenheim und Friedrichsfeld. Langsam
glaubte ich nicht mehr an einen teuflischen Besuch, und das war keinesfalls religiös
gemeint. Ich faltete den kleinen Plan auseinander, den Jutta mir mitgegeben hatte,
und entnahm ihm, dass nach der nächsten Haltestelle Pfaffengrund bereits der Heidelberger
Hauptbahnhof kam. Ich wurde mutiger und packte die zweite Brezel aus und begann
zu essen. Der Rest der Fahrt war unauffällig. Bereits kurz nach der Haltestelle
Pfaffengrund stand ich auf und ging zur Tür. Niemand hielt mich auf, niemand sprach
mich an. Langsam stieg ein ziemlicher Frust in mir auf. War der Teufel schlauer
als ich dachte? Hatte er Lunte gerochen oder mit der Aktion etwas ganz anderes bezweckt?
Hat er vielleicht damit gerechnet, dass wir Pit Teufelsreute und den Brief finden?
Dann wäre alles nur ein Ablenkungsmanöver gewesen. Trotzdem, richtig Sinn machte
das nicht. Es war ja klar, dass Teufelsreute unter strenger Beobachtung stand. So
wie ich im Moment. Hoffentlich.
Am Hauptbahnhof stieg ich aus. Nichts
passierte. Ich ging langsam durch die Halle zum Vorplatz und schaute auf die Uhr.
Wo blieben nur Gerhard und Jutta? Sie wollten in meiner Nähe sein. Ich musste schließlich
wieder zurück nach Neustadt, wo mein Wagen stand. Die Minuten zogen sich endlos,
während ich verärgert auf dem Platz herumstand und fror. Irgendwann kam ich auf
die Idee, den Sender aus meiner Jackentasche zu holen. Dabei entdeckte ich, dass
der kleine Hebel auf ›Off‹ stand. Dumm gelaufen, das musste wohl bei der Fahrscheinkontrolle
passiert sein, als ich meinen Ausweis herausholte. Ich drückte den Hebel auf ›On‹
und flüsterte in Richtung Kasten:
»Hallo, ihr beiden. Der Sender hat
sich automatisch abgeschaltet. Ich hab’s eben erst bemerkt. Ich stehe auf dem Heidelberger
Bahnhofsvorplatz. Holt ihr mich bitte ab?«
Ich lauschte auf eine Antwort, bis
mir einfiel, dass das Teil ja keinen Empfänger besaß. Hoffentlich hatten die zwei
meinen Notruf erhalten.
Nach einer halben Stunde wurde es
mir zu dumm. Fast war ich versucht, die Heidelberger Kollegen zu informieren, doch
bis ich denen alles erklärt hätte …
Ich entschied mich für die Alternative,
kaufte mir zwei Brezeln und ging zurück zum Bahnsteig. Minuten später fuhr die Linie
2 ein. Gewohnheitsmäßig stieg ich in den hinteren Zugteil, der verhältnismäßig leer
war. Um mich etwas abzulenken, futterte ich meine Wegzehrung. Zurück im Büro würde
ich erst einmal KPDs Keksvorrat dezimieren.
Ich war einem Herzschlag nahe, als
im Mannheimer Hauptbahnhof drei Teufel und ein Engel einstiegen, die sich zu mir
in die Sitzreihe quetschten. Einen Dreizack konnte ich zwar nicht erkennen, dafür
trugen die vier Fastnachter, wenn sie welche waren, riesige Taschen mit sich. Inzwischen
war ich zu dem Schluss gekommen, dass ich keinesfalls mehr unter der Beobachtung
von Zivilbeamten stehen würde. Dafür hatte ich jetzt gleich drei Teufel vor mir,
die zudem leicht alkoholisiert wirkten. Da sich alle vier zu kennen schienen, schloss
ich, allerdings mit nach wie vor erhöhtem Puls, einen Einzeltäter aus. Zufall, nichts
als Zufall, redete ich mir ein. Meine Anspannung wurde nur wenig strapaziert, bereits
an der Haltestelle Ludwigshafen Mitte stieg die Gruppe wieder aus. S-Bahn-Fahren
war reine Nervensache, soviel war für mich klar. Insgeheim hatte mir die recht kurze
Zeit gefallen, in der man die Rheinebene von Neustadt nach Heidelberg komplett durchfahren
konnte. Mit dem Auto würde dies in der gleichen Zeit wahrscheinlich nur nachts um
drei Uhr gelingen. Und dann auch nur, wenn man das Glück hatte, kein Bußgeld wegen
Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit zu kassieren.
»Fahrscheinkontrolle«, tönte es
hinter meinem Rücken. Mein Kopf kippte schlagartig nach vorne, so wie es Thomas
Magnum tat, wenn er eine Hiobsbotschaft erhielt. War das vielleicht doch nur eine
große, mehrere Tage andauernde
Weitere Kostenlose Bücher