Blutbeichte
Zimmer, kehrte das Unterste zuoberst, zog Schubladen heraus, drehte Kissen herum, warf Sachen auf den Boden, kniete sich ins Zimmer und schaute unter alle Ritzen, in die ein Pocket-PC gepasst hätte. Sie hörte ein Geräusch am Ende des Korridors, achtete aber nicht weiter darauf. Sie musste ihre Listen finden, ihre Namen, ihr ganzes Leben, das in einem kleinen silbernen Gerät gespeichert war.
Sie hörte ihn nicht kommen.
Und er war viel zu schnell.
Er hatte schon seine Arme um sie geschlungen und eine Hand auf ihren Mund gepresst, ehe sie schreien konnte.
Zum zweiten Mal in seinem Leben saß Preston Blake mit Mary Burig in einem kleinen Zimmer. Sein Gesicht und seine Kopfhaut waren von Schweiß und Schmutz bedeckt. Auf seiner Stirn klebten feuchte Haarsträhnen. Er zog ein Taschentuch hervor, rieb sich wütend übers Gesicht und schleuderte das feuchte, schmutzige Taschentuch auf den Boden. Dann betrachtete er Mary und suchte nach Anzeichen, ob sie ihn erkannte.
Mary spürte die getrockneten Tränen auf der Haut. Sie waren ihr über die Wangen gelaufen, als der Mann sie in eine der leer stehenden Wohnungen getragen und auf einen Stuhl gesetzt hatte. Die Wände waren frisch gestrichen, der Teppich war mit Bettlaken bedeckt. Die meisten Möbel waren ausgeräumt oder mit einer Folie abgedeckt. In einer Ecke standen eine Leiter und Farbdosen. Mary sah Pinsel, Zeitungen, Kaffeebecher, ein Radio und mehrere Geräte, die sie nicht kannte. Zwiebelgeruch stieg ihr in die Nase. Sie schaute sich um und sah in einer Ecke einen Teller mit einer halben Zwiebel, die offenbar den Farbgeruch neutralisieren sollte. Doch sie war getrocknet und erfüllte ihren Zweck nicht mehr.
Mary zitterte am ganzen Leib. Sie zog die Strickjacke straff um ihre Schultern, um sich zu wärmen, doch sie wusste, dass die Kälte nicht das Problem war.
Mary hatte lückenhafte Erinnerungen an den Mann, der ihr gegenübersaß. Es waren dieselben Fragmente, die sie vor ihren Anfällen stets zusammenzufügen versuchte … Ein indirektes Licht, das über einer Fußleiste leuchtete. Die Bürotür wurde geöffnet, und ein großer Mann stürzte ins Zimmer. »Ich brauche Ihre Hilfe, ich brauche Ihre Hilfe.« Siewich vor ihm zurück. »Setzen Sie sich und hören Sie mir einfach zu, ja? Hören Sie mir nur zu. Ich suche Hilfe, okay? Okay? Ich glaube, ich verliere den Verstand. Sie müssen mir nur zuhören. Das ist alles. Das ist doch Ihr Beruf, nicht wahr? Zuhören und helfen.« Sie wich wieder vor ihm zurück. Er konnte nur sechs oder sieben Jahre älter sein als sie, sah aber viel älter und zu Tode erschöpft aus. »Hören Sie mir zu? Helfen Sie mir. Ich will nicht der sein, der ich bin. Bitte helfen Sie mir. Sie müssen dafür sorgen, dass ich aufhöre. Seine Zähne. Lügner. Er war ein verdammter Lügner. Ich kann einiges wiedergutmachen. Aber er ist weg und kommt nicht zurück. Ich werde es wieder tun. Ich werde wieder töten.« Dann kam David herein und stellte sich wütend an ihre Seite …
Mary schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie. »Ich erinnere mich nicht.«
Blake neigte den Kopf und sah die Verwirrung auf ihrem Gesicht.
»Was werden Sie mir antun?«, fragte Mary.
»Ich weiß es nicht.«
»Haben Sie meinen Bruder getötet?«
»Ja.«
»Warum?« Ihre Stimme war flehend, verzweifelt.
»Ich habe einen Fehler gemacht.«
»Was soll das heißen?«
»Ich dachte, ich könnte mich darauf einstellen. Auf das Gefängnis. Auf alles. Aber ich habe einen Fehler gemacht. Es war falsch. Ich habe es versucht. Es hat nicht funktioniert. Und dann wollte ich auf gar keinen Fall mehr ins Gefängnis. Und ich hätte aufgehört zu töten … nach dir.«
»Bitte nicht!«
Er starrte sie an. »Irgendetwas ging kaputt, weißt du. Ich wollte eine Bestätigung. Ich wollte Freunde gewinnen …«
»Es muss doch ein paar Menschen geben, die sich für Sie interessieren.«
»Nicht jeder hat Freunde. Nicht einer wie ich. Vorher vielleicht, aber jetzt nicht mehr.«
»Vielleicht haben Sie zu lange gewartet.«
»Womit?«
»Hilfe zu suchen.«
»Es passt zu dir, dass du so denkst.«
Mary schwieg.
»Du bist fast normal, nicht wahr?«, fragte Blake.
Mary nickte.
»Das wird schwer.«
Sie starrte ihn an.
»Wir sind durch Lügen miteinander verbunden.«
»Sie und ich?«
Er nickte.
»Nein«, sagte Mary. »Das sind wir nicht. Lügen haben nur Ihnen etwas bedeutet.«
»Die Lügen sind in mir, aber sie sind in jedem.«
»Das ist nicht wahr.«
Er lachte betrübt.
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