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Blutbeichte

Blutbeichte

Titel: Blutbeichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Barclay
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Magen. Es verwirrte sie, doch sie wusste, dass mit ihrer Angst üblicherweise eine Euphorie einherging, die sie nirgendwo sonst jemals gefunden hatte. Diesmal aber spürte sie nur nackte Angst. Blitzschnell streckte sie die linke Hand aus, ergriff einen Notizblock und zog ihn über den Schreibtisch zu sich heran. Sie hatte das Gefühl, ihr Kopf wäre vom Körper abgetrennt, als sie zu begreifen versuchte, was mit ihr geschah. Ein dunkler Film lief hinter ihren Augen ab. Messerscharf geschnittene, schwarze und graue Gebilde, eine ruckartige und hektische Aufeinanderfolge schlecht beleuchteter Szenen.Ihre rechte Hand zuckte durch die Luft, und ihre Finger suchten zwei kurze senkrechte Linien, die alles zum Stillstand bringen würden, und dann die Taste mit den Pfeilen, um es zurückzuspulen. Doch sie konnte es nicht kontrollieren. Sie verspürte das wilde Verlangen, im Augenblick zu verharren, nicht weiter zurückzugehen und kein Licht mehr auf dunkle, verschwommene Erinnerungen zu werfen. Doch ehe sie auch nur ein Wort schreiben konnte, war sie tot. Sie glitt zu Boden und riss Papier und Stifte mit sich. Das Letzte, was sie sah, war ihr Freund, der in der Tür stand, auf die Größe eines Kindes geschrumpft.
    Detective Joe Lucchesi vom New York Police Department beugte seinen Oberkörper so weit vor, dass er beinahe vornüber kippte. Tränen liefen ihm über das aschfahle Gesicht und tropften auf den Teppich. Seine Stirn war mit Druckerschwärze und Schweißperlen bedeckt, die zu winzigen dunklen Pfützen und Rinnen verlaufen waren; er hatte sich beim Zeitunglesen die Finger auf die Stirn gepresst, als das schreckliche Pochen begann. Vor einer halben Stunde war er mit wahnsinnigen Schmerzen als Notfallpatient bei seinem Zahnarzt erschienen. Mittlerweile war der Schmerz unerträglich und wurde immer schlimmer. Als Übelkeit in ihm aufstieg, verkrampfte er, blieb steif sitzen, rührte sich nicht und starrte auf den Boden. Ein leises, tierhaftes Wimmern erstickte als kieksender Laut tief in seiner Kehle.
    »Mr Lucchesi?« Die Sprechstundenhilfe kam über den Flur auf ihn zu. »Kippen Sie mir bloß nicht um.«
    Die Frau schaute sich im Wartezimmer um. »Hat jemand gesehen, was passiert ist?«
    »Er saß hier und las Zeitung, als sein Handy klingelte. Plötzlich hat er sich nach vorn gebeugt, als hätte er schreckliche Leibschmerzen, und wurde mit einem Mal kreidebleich.«
    Joe wusste, dass es die Stimme eines freundlich aussehenden älteren Mannes war, der ihm gegenübergesessen hatte, als er hergekommen war.
    Die Sprechstundenhilfe legte Joe eine Hand auf die Schulter. »Dr. Pashwar ist gleich für Sie da. Kann ich inzwischen etwas für Sie tun?«
    »Vielleicht würde ein Glas Wasser helfen«, meinte der ältere Herr. Er war aufgestanden. Joe konnte seine braunen Wildlederslipper auf dem Teppich vor sich sehen. Es gelang ihm, eine zitternde Hand zu heben, um beide Angebote abzulehnen.
    »Er konnte nicht einmal sprechen, als der Anruf kam, so schlimme Schmerzen scheint er zu haben«, sagte der alte Mann. »Wir müssen schnell etwas tun.«
    Joe wusste es besser. Nicht der Schmerz hatte ihn am Sprechen gehindert. Es war die Stimme gewesen. Sie hatte ihm buchstäblich den Atem verschlagen, diese Stimme, die sich gewaltsam ihren Weg zurück in sein Leben bahnte … eine schleppende, schwere Stimme, die Joe schmerzhaft an eine unerledigte Sache erinnerte.
    »Detective Lucchesi? Jedes Mal, wenn Sie auf die Narben auf dem hübschen kleinen Körper Ihrer Frau schauen … unten auf dem straffen kleinen Körper. Oder wenn Sie sie auf den Rücken legen. Sie ist ein leichtes Mädchen, nicht wahr? Haha! Es ist kein Problem, sie auf den Rücken zu drehen, nicht wahr? Auch da sind Narben. Sie geben mir das Gefühl, dies wäre mein Geschenk an sie, das ich ihr jeden Tag aufs Neue mache. Ich hätte da mal eine Frage, Detective Lucchesi: Wenn Sie diese Narben sehen, begehren Sie sie dann immer noch?« Eine kurze Pause. »Oder stehen Sie mehr auf mich?« Er lachte laut und schrill. »Sagen Sie es mir? Wer ist denn jetzt der Dumme? Die kleine Anna Lucchesi oder der große, böse Duke Rawlins?« Ein paar Sekunden herrschte Totenstille. Dann sprach er ein letztes Mal: »Sie werden mich niemals begraben, Detective. Ich werde Sie begraben.«

1
    Die Detectives Joe Lucchesi und Danny Markey stiegen in den Aufzug, der sie in die Büros der Mordkommission Manhattan Nord im fünften Stock brachte. Die ersten drei Stunden ihrer achtstündigen

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