Blutberg - Kriminalroman
noch vor Kälte nach dem Fußmarsch, der viel länger gedauert hatte als geplant. Kälte und Schnee draußen kamen ihm aber im Vergleich zu dem tobenden Stefán im Augenblick geradezu einladend vor. Es war zwar in den drei Jahren, die er nun unter Stefáns Leitung bei der Kriminalpolizei arbeitete, schon mal vorgekommen, dass Stefán wütend wurde. Nicht oft zwar, aber es war vorgekommen. Derartig in Rage wie jetzt hatte er ihn aber noch nie erlebt, und deswegen drückte er sich in eine Ecke, um ihm nicht in die Quere zu kommen. Stefán tigerte in seinem Büro auf und ab, und aus seinen gutmütigen Zügen sprach mörderische Wut.
»Ich hatte den Arzt gerade verlassen, ich meine die Krankenstation,
« wiederholte Árni zögernd, »und ich bin in die falsche …«
»Ja, ja, du hast dich verlaufen, ich bin doch nicht taub, zum Donnerwetter noch mal. Du bist beinahe von einem dieser Laster überfahren worden und warst dann bei der Lagerhalle, und was dann?«
Árni schoss es durch den Kopf, Stefán zu fragen, weshalb er ihm das noch einmal sagen sollte, wo er doch angeblich nicht taub war, kam aber schnell zu dem Schluss, dass das keine gute Idee wäre.
»Und da kamen zwei von den Schwarzen in einem Jeep angedüst, aus dem zogen sie irgendeinen Mann heraus, den sie in die Halle schleiften, und dann ging die Tür wieder zu. Und zwei von diesen schwarz Vermummten standen Wache davor, selbstverständlich bewaffnet.« Stefán warf sich auf den Schreibtischstuhl, der mit einem leisen Geräusch auf die niedrigste Stufe hinuntersauste. Árni atmete auf und wagte sich aus seiner Ecke heraus.
»Das geht zu weit«, sagte Stefán. »Das geht verdammt noch mal entschieden zu weit. Denken die vielleicht, dass sie hier nach Belieben Leute verhaften können?« Seine Augen unter der grünen Baseballkappe fixierten Árni. »Hast du gesehen, wie viele da drin waren?«
»Nein. Ich hab bloß beobachtet, wie sie den einen Mann da hineinbugsierten und die Tür wieder zumachten. Ich hielt es auch nicht für angebracht, zu ihnen hinzuschlendern und sie danach zu fragen.« Sein Zähneklappern hatte etwas nachgelassen, und es kam ihm auch so vor, als belebten sich seine Zehen wieder. Er war sich aber nicht sicher, ob das wirklich ein gutes Gefühl war, vielleicht wäre überhaupt kein Gefühl jetzt sogar besser. Aber er ließ sich nichts anmerken.
»Himmel, Arsch und Zwirn«, ächzte Stefán, »gibt es denn wirklich keine Grenzen für die Blödheit dieses Mannes?« Obwohl
die Frage nicht gestellt worden war, weil er ernsthaft eine Antwort darauf erwartete, sah er seinen Untergebenen an. Und was er sah, gefiel ihm bei näherer Betrachtung gar nicht. »Wie siehst du denn aus, Junge, du solltest schleunigst unter eine heiße Dusche und dir trockene Sachen anziehen. Hast du denn nichts Wärmeres als das da?« Árni schüttelte den Kopf. Das tat Stefán ebenfalls. »Mensch, was hast du eigentlich gedacht, wo wir hinfahren? Los jetzt, ab mit dir unter die heiße Dusche, und dann frag den Koch, ob er dir nicht irgendwelche anständigen Schuhe besorgen kann. In dem kleinen Laden hier müsstest du zumindest Wollsocken und eine lange Unterhose bekommen können, der hat bestimmt offen, auch wenn hier sämtliche Arbeiten gestoppt worden sind.«
Árni gehorchte ohne Widerrede. Stefán gönnte sich den Luxus, sich einige Sekunden über die Entfremdung des modernen Menschen zur Natur und die Tatsache aufzuregen, dass die heutige Jugend keinerlei Verbindung mehr dazu hatte, bevor er seine Hand nach dem Telefon ausstreckte. Sein Handy klingelte, noch bevor er Svavars Nummer eingetippt hatte.
»Stefán«, schnaubte er.
»Hier Steinþór.«
Stefán richtete sich auf und nahm Papier und Bleistift zur Hand. »Hallo. Seid ihr auf dem Hof?«
»Ja, und wir sind zu sechst. Aber das wäre gar nicht nötig gewesen. Das Haus ist leer.«
»Was sagst du?«
»Was ich sage? Was sagst du?«
Stefán biss sich auf die Zunge. »Nichts. Das Haus ist also leer. Es ist aber hoffentlich das richtige Haus?«
»Ja. Hier herrscht ein wüstes Tohuwabohu, Frauenkleidung überall. Die sind Hals über Kopf abgehauen. Es sieht ganz so aus, als wären sie gewarnt worden.«
Stefán runzelte die Brauen. »Von wem denn?«
»Wie soll ich das denn wissen?«, stieß Steinþór hervor. »Ich weiß bloß, dass sie nicht mehr da sind. Bestimmt sind sie schon auf dem Weg nach Reykjavík. Sicherheitshalber habe ich einen Mann zum Flughafen in Egilsstaðir beordert, aber sie werden wohl
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