Blutberg - Kriminalroman
schließlich. Seinem verzerrten Gesichtsausdruck und seinem Tonfall nach zu urteilen hörte es sich so an, als würde er ihr ein Geheimnis anvertrauen, das auf gar keinen Fall aus dem Inneren der Erde nach draußen gelangen durfte. »Schon nach ein paar Wochen hat sie gesagt, dass sie sich langweilte und arbeiten wollte, irgendwo im Büro, in der Kantine oder wo auch immer. Oder wieder zurück nach Italien fahren. Das ging aber nicht, ich war dagegen. Es ist … es ist nicht richtig, wenn die Frau des Chefs arbeitet.«
Katrín öffnete unwillkürlich den Mund zu einem Protest, konnte sich aber im letzten Moment noch zurückhalten. Ricardo lächelte matt. »Ich weiß, das ist hierzulande anders. Es ist auch in Italien bei vielen Leuten anders, die Zeiten ändern sich. Aber nicht bei uns. Wir stammen beide aus alten Familien. Altmodischen, traditionellen, si ? Aber das spielt vielleicht keine Rolle. Ich wollte nicht, dass sie hier arbeitet. Ich wollte aber auch nicht, dass sie nach Italien ging. Aber sie fühlte sich schlecht.«
Ricardo machte eine kurze Pause. »Hier in Kárahnjúkar waren noch ein paar andere Italienerinnen«, fuhr er fort, »die haben zusammengehalten und versucht, sich irgendwie die Zeit zu vertreiben, aber die Verhältnisse hier bieten kaum Möglichkeiten zu irgendwelchen unterhaltsamen Aktivitäten. Vor allem nicht im Winter.« Susanna war diesbezüglich womöglich in einer schlimmeren Position als die anderen, das musste er zugeben, die hatten entweder irgendeine Arbeit oder Kinder, was ihnen seiner Ansicht nach den Aufenthalt etwas erträglicher machte.
Katrín hatte immer nur verständnisvoll genickt und zugestimmt, aber als sie das Gespräch jetzt rekapitulierte, verzerrte sich ihr Gesicht unwillkürlich. Ja, ja, die arme reiche Frau, dachte sie. Sie darf weder arbeiten noch vollgeschissene Windeln wechseln … Aber vielleicht war da etwas dran, musste sie zugeben. Es war wohl kaum eine beneidenswerte Situation, längere Zeit in einer Umgebung leben zu müssen, die in den Augen einer Oberklassen-Italienerin sowohl fremd als auch feindlich war, weit weg von Familie und Freunden, und den lieben langen Tag überhaupt nichts zu tun zu haben.
Sie hatten ein paar Einladungen gegeben, sagte Ricardo, keine großen, aber es schien ihr Spaß zu machen, Gäste zu haben und sich um die Vorbereitungen zu kümmern. Meistens waren dabei die Italiener unter sich, manchmal wurden aber
auch noch andere dazu eingeladen, und dann meistens Isländer. Unter anderem auch Halldór.
Katrín war so in ihre Gedanken vertieft, dass sie eine Notbremsung machte, um nicht auf Ricardos Pickup aufzufahren, als er bei der Straßensperre anhielt, die Unbefugten den Zugang zur Hauptbaustelle verwehren sollte. Sie wies sich ohne Einwände aus und durfte ebenso wie Ricardo weiterfahren. Die Brücke war immer noch für jeglichen Verkehr gesperrt. Die Umleitung führte über einen holperigen, schmalen und nicht beleuchteten Weg am Steilhang des Kárahnjúkar-Massivs entlang und von dort hinunter zum provisorischen Staudamm, der sich etwas weiter nördlich von der Brücke befand. Es war zwar fast taghell, doch diese Helligkeit war grau und die Sicht miserabel. Katrín musste sich voll und ganz aufs Fahren konzentrieren, und sei es nur, um nicht auf Ricardo aufzufahren, der die Strecke bis zum Damm beinahe im Schritttempo zurücklegte. Sie hatte Übung darin, auf noch viel schlechteren Pisten mit wesentlich höherem Tempo zu fahren. Nach all den verbeulten Pickups und Jeeps auf dem Gelände zu urteilen, hatten Ricardos Landsleute genauso wenig Erfahrung im Umgang mit isländischen Straßenverhältnissen wie er, und sie hätten sich vielleicht besser seine Fahrweise zum Vorbild genommen.
Jenseits des Damms war der Weg besser und breiter, und Katrín konnte wieder an wichtigere Dinge denken. Wie Ricardos Worte, dass er seine Frau dazu gebracht habe, Reue und Besserung zu geloben, indem er ihr versprach, »ihr zu gestatten, sich ein Kind von ihm schenken zu lassen«. Dieser Satz hatte Katrín so aus der Fassung gebracht, dass sie sich nicht verkneifen konnte, ihn zu fragen, was er denn damit meinte. Und hatte herausgefunden, dass seine Ausdrucksweise nichts mit seinem nicht sonderlich flüssigen Englisch zu tun hatte.
»Ihr zu gestatten, sich ein Kind von ihm schenken zu lassen«, prustete sie, während sie gewissenhaft den Blinker betätigte, als sie hinter Ricardo zum Impregilo-Camp einbog. »Wie nobel.« Diese Äußerung
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