Blutberg - Kriminalroman
zusammengekrümmt auf einem Schemel am Fußende des Betts und betrachtete seine schlafende Ehefrau, nicht wissend, wann sie eingeschlafen war. Sie hatte sich an den letzten beiden Abenden in den Schlaf geweint. Ricardo zweifelte daran, dass irgendein Priester sie in absehbarer Zukunft trösten konnte, ganz gleich, wie inbrünstig sie zwischen den Weinkrämpfen ihren Gott anflehte. Ricardo dachte in dieser schlaflosen Nacht nicht nur lange, sondern auch über vieles nach, während er die Rotweinflasche leerte und etliche Male Vivaldi durch die Jahreszeiten folgte. Es ging ihm auch nicht darum, ihr das, was sie getan hatte, vorzuwerfen, ganz im Gegenteil, er gab sich selbst die Schuld daran. Er fürchtete aber, dass sie ihn nichtsdestotrotz hasste.
Kinder, überlegte er. Das wäre nie geschehen, wenn ich eingewilligt hätte, ihr die Kinder zu schenken, nach denen sie
sich so sehnt, als sie mich darum bat. Und wenn ich sie nicht dazu überredet hätte, mir an den Arsch der Welt zu folgen, wo kein Gott wohlgefälliger Mensch gezwungen sein dürfte, sich aufzuhalten.
Im Gegensatz zu seiner Frau konnte Ricardo nur wenig Interesse für religiöse Dinge aufbringen, und das Wenige hatte sich proportional zum steigenden beruflichen Erfolg noch verringert. Doch nun, genau in diesem Augenblick, wo er auf den nächsten Anruf aus Mailand wartete, vor dem ihm graute, konnte er sich durchaus vorstellen, Trost und vielleicht sogar Weisung bei ebendem Gott zu suchen, den er all diese Jahre vernachlässigt hatte. Er war völlig überzeugt, dass Barei weder zu einem Zufalls- noch zu einem Höflichkeitsbesuch gekommen war; dahinter steckte wahrscheinlich - nein, ganz bestimmt - di Tommasso, was auch immer wer sagen mochte. Und er war sich darüber im Klaren, dass er die Galgenfrist, die ihm der nicht unwillkommene Tod der beiden und aller anderen verlieh, nach besten Kräften nutzen musste, wenn er sich heil aus der Affäre ziehen wollte. Trotzdem war da etwas, was ihn lähmte, ihm Tatkraft und Elan raubte, und er schämte sich, Gott in dieser Situation um Hilfe anzuflehen. Jenen Gott, den er jahrelang verschmäht und sogar verspottet hatte, um Kraft zu bitten, damit er sich der Verantwortung für sein Tun entziehen konnte. Kein Wunder, dass ihm dieses verdammte Gebet im Halse stecken blieb.
Vielleicht hätte ich verlangen sollen, dass ein Priester hierher geschickt wird, dachte er, vielleicht hätte ich auf einer Kapelle und einem Priester hier oben in dieser Hölle bestehen sollen, wo fünfhundert katholische Seelen an jedem dieser dunklen Tage mit dem Höllenfürsten persönlich konfrontiert waren. Vielleicht wäre mir dann trotz allem geholfen gewesen. Ricardo schüttelte den Kopf, er verachtete sich selbst wegen seiner Charakterschwäche. Er hatte sich an den katholischen
Bischof in Reykjavík gewandt, der ihm versprochen hatte, seine beiden Landsleute in angemessener Form in Empfang zu nehmen, wenn sie in Reykjavík eintrafen, und bei erster Gelegenheit einen Priester in die Ostfjorde zu schicken, um dort eine Seelenmesse lesen zu lassen und den Überlebenden seelischen Beistand und Befreiung vom Joch ihrer vielfältigen Sünden zu gewähren. Ricardo zweifelte jedoch daran, dass es ihm persönlich helfen würde, zumindest nicht hier im Diesseits. Es gab ja schließlich Grenzen dafür, wie viele Ave-Marias man beten konnte. Und sein Rosenkranz war ihm im Übrigen schon vor langer Zeit abhanden gekommen.
Drei Wegweiser an ebenso vielen Abzweigungen und zwei einsame Baracken bildeten die einzige Abwechslung in dieser kargen und eintönigen Landschaft, die einschläfernd auf Árni wirkte, während die endlose Weite bei Stefán die altbekannte Ehrfurcht vor diesem Land hervorrief. Bei Katrín löste der Anblick eher gemischte Gefühle aus. Im Gegensatz zu ihren drei Mitreisenden fuhr sie nicht zum ersten Mal durch diese Gegend; die Straßen waren zwar inzwischen wesentlich besser geworden, doch das hatte nur zur Folge, dass ihr noch mehr vor dem Anblick graute, der sie am Ende der Straße erwartete. Zwischendurch stellte Guðni immer wieder provozierende Fragen, wozu dieses kahle Land und die Steine dort unter Schutz gestellt werden sollten. Da er keine Reaktion darauf erhielt, konzentrierte er sich stattdessen zur Erleichterung aller auf Friðrik und dessen stümperhafte Fahrkünste. Friðrik war ihnen wie ein Schatten gefolgt, nachdem sie seinen Wagen aus der Schneewehe gezogen hatten. Guðni mokierte sich ausführlich über
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