Blutberg - Kriminalroman
ihn und generell über die Überflüssigkeit und Unfähigkeit der Abteilung, der Friðrik jetzt angehörte. Katrín hatte kurz davor gestanden, Guðni aus dem Auto zu werfen, aber als er es endlich aufgab, sie zu provozieren, musste sogar sie über
die boshaften Storys von Guðni lachen, der sich der zweifelhaften Ehre rühmen konnte, am engsten mit Friðrik zusammengearbeitet zu haben, als der noch zu ihrem Team gehörte.
Árni lachte ebenfalls hemmungslos über Guðnis Geschichten, doch mitten in einem solchen Lachanfall nahm Katrín eine scharfe Rechtskurve und bretterte im nächsten Moment einen Steilhang hinunter, der senkrecht in die grauenvolle Schlucht zu führen schien, die sich urplötzlich vor ihnen auftat. Árnis Gelächter verwandelte sich schlagartig in ein erbärmliches Röcheln, gleichzeitig krallte er sich krampfhaft an die Rücklehne vor ihm. Liebend gerne hätte er einfach den Blick abgewendet oder die Augen zugemacht, doch er konnte nicht anders, als entsetzt in diesen Abgrund zu starren, der auf sie zuraste. Obwohl Katrín jetzt das Tempo stark drosselte, konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, dass ihnen der Absturz in den entsetzlich tief unter ihnen schäumenden und sich in seinem Bett wälzenden Tod gewiss war. Katrín bog aber gelassen nach links ab und gleich darauf wieder nach rechts, und einen Augenblick später hatten sie die Brücke über den tosenden Gletscherfluss heil und unbeschadet überquert. Viel weiter kamen sie jedoch nicht, denn kurz hinter der Brücke versperrten zwei Pick-ups die Straße.
Katrín hielt an und Friðrik ebenfalls. Jeweils zwei Männer entstiegen den Autos und schlenderten auf sie zu. Ein nicht sehr großer, schwarzhaariger Mann in einem orangefarbenen Winteroverall und giftgrünem Helm auf dem Kopf bedeutete Katrín mit breitem Lächeln, die Scheibe herunterzulassen. Sie tat das und blickte den Mann fragend an.
» Papers, please .«
» Police «, erklärte Katrín kurz angebunden und hielt ihm ihren Ausweis unter die Nase.
Der Mann lächelte noch breiter. » Welcome, amigos «, sagte er, » welcome to Alcatraz .«
Kárahnjúkar.
Árni hatte in den Zeitungen über diesen Ort gelesen und unzählige Berichte und Luftaufnahmen des fliegenden Fernsehreporters Ómar Ragnarsson gesehen, sowohl aus der gewaltigen Hafrahvammar-Schlucht als auch von dem ganzen Gebiet, aber trotzdem kam es ihm so vor, als hätte der portugiesische Wachposten, der sie an der Brücke in Empfang nahm, wahrscheinlich diesen Ort am besten beschrieben. Umgebung und Klima waren hier natürlich ganz anders, aber er wusste sehr genau, was der Mann gemeint hatte. Er drückte seine weiße Stirn an die kalte Scheibe des Autos, während sie über eine Piste mit zahlreichen Schlaglöchern holperten, und starrte entsetzt auf den Anblick, der sich ihm bot.
Die wenigen Leute, die dort zu Fuß unterwegs waren, steckten fast alle in den gleichen orangefarbenen Overalls wie die Leute bei der Brücke. Wo kein Schnee lag, war nur Gerümpel, Geröll oder nackter, schwarzer Fels zu sehen. Und unten in der Schlucht wälzte sich der schmutzig braune Gletscherfluss. Auf dem Weg von der Brücke zu den Camps begegneten ihnen ein paar von den gelben, dreckigen Kippern, die im Schneckentempo an den Hängen herumkrochen. Sie fuhren an der Zapfsäule beim Kiosk vorbei, an riesigen Lagerhallen und unzähligen Containern, rostigen Ölfässern und zerbrochenen Abwasserrohren, die senkrecht aufragten, an Hängern und Baumaschinen jeder Art und Größe, die wahllos in der Gegend herumstanden. Alles war mehr oder weniger unter Schnee begraben, genau wie die niedrige Wohnsiedlung, die sie kurze Zeit später passierten. In dem trüben Licht machte sie einen trostlosen Eindruck. Árni fühlte sich an isländische Pferde erinnert, die bei Unwetter den Hintern in den Wind drehten, oder eine einsame Bergkate aus längst vergessenen Erzählungen von Menschen in Bergnot. Trotz der freundlich wirkenden erleuchteten Fenster und der völligen Abwesenheit
von Einzäunungen wirkte alles so abweisend auf Árni wie die Vorstellung von der berüchtigten Gefängnisinsel. Er konnte sich aber des Gedankens nicht erwehren, dass der Begriff Gulag noch besser zu diesem Ort passte. Zumindest hatte er das Gefühl, dass er hier festsaß und zu einem langen, entsetzlichen Aufenthalt an diesem gottverlassenen Ort verdonnert war.
In dem Augenblick, als sie vor dem Verwaltungsgebäude vorfuhren, legte der Nordsturm von neuem los und
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