Blutberg - Kriminalroman
schniefte, irgendwelche Wolldecken oder Mäntel zu organisieren, um Matthías zuzudecken, bis die ärztliche Hilfe eintraf. Dann ging sie die Treppe hinunter und hockte sich neben Stefán.
»Wie sieht es aus?«, fragte sie.
»Der wird schon wieder. Er hat zwar das Bewusstsein verloren, der Ärmste, aber sein Atem ist regelmäßig und der Puls ebenfalls.« Der erkältete Mann kam schneller als erwartet mit zwei alten Wolldecken, einem wattierten Anorak und einem Winteroverall, die sie über Matthías breiteten beziehungsweise ihm unter den Kopf schoben. Der Erkältete und eine attraktive Frau um die vierzig mit Sommersprossen, die das dunkle Haar in einem dicken Zopf trug, lösten
Stefán und Katrín an diesem ungewöhnlichen Krankenlager ab.
»Ihr sagt mir Bescheid, wenn etwas sein sollte«, sagte Stefán und folgte Katrín nach oben, wo immer noch einige Leute standen und von einem Fuß auf den anderen traten, sich leise unterhielten und besorgt zu Matthías hinunterblickten. Unruhe und Angst waren ihnen deutlich anzumerken, am liebsten hätten sich wohl alle wieder hinter ihre Schreibtische verkrochen, doch niemand traute sich. Katrín und Stefán hatten oft genug vergleichbare Situationen erlebt, um zu wissen, dass einer oder vielleicht zwei oder drei schließlich abziehen würden, doch die anderen würden bis zum Abtransport bei ihm ausharren.
»Typisch«, murmelte Katrín, als sie und Stefán sich einen Weg gebahnt hatten und den Korridor mit den knarrenden Dielen entlanggingen.
»Normal«, brummte Stefán.
»Ja, natürlich«, pflichtete Katrín ihm sofort bei, »was anderes wollte ich ja auch gar nicht sagen.« Sie öffnete die Tür zu dem Büro, das Matthías ihnen gezeigt hatte, und Stefán folgte ihr.
»Und?«, fragte Guðni, der es sich mit den Daumen am stramm sitzenden Hosenbund auf dem Schreibtischstuhl gemütlich gemacht hatte. »Lebt er noch?«
Stefán nickte. Er ging zum Fenster und sah hinaus. Auf der anderen Seite der Straße befand sich das Camp von Impregilo. »Die Behausungen sehen ja einigermaßen ordentlich aus«, sagte er, »auf jeden Fall aus dieser Entfernung. Aber Schnee und Sand halten sie nicht stand, soweit ich weiß.« Er richtete sich auf und sah seine Mitarbeiter an. »Komisch«, sagte er. »Das erinnert mich an die Häuser in Hveragerði, die seinerzeit vom Katastrophenfonds für die Evakuierten von den Westmännerinseln errichtet wurden, wenn der Regen waagerecht
daherkam, leckte es rein. Könnt ihr euch an die erinnern?« Guðni nickte, Katrín und Árni schüttelten die Köpfe. »Übrigens, was ist eigentlich aus unseren Geheimdienstlern geworden? Habt ihr gesehen, wohin die gefahren sind?« Nun schüttelte Guðni ebenfalls den Kopf. »Na ja, das wird sich schon noch früh genug herausstellen«, sagte Stefán. »Wir fangen damit an, uns hier so gut es geht einzurichten, und dann gehen wir einen Kaffee trinken und planen die nächsten Schritte.« Er wandte sich Árni zu, der auf seinem Stuhl halb eingeschlafen zu sein schien. »Árni?«
»Ja«, gähnte Árni.
»Würdest du bitte irgendjemanden da draußen fragen, wie wir diesen Lárus erreichen können. Der wird uns ja wohl sagen können, wo wir untergebracht werden, und uns den Weg dorthin zeigen.« Árni stand gemächlich auf und reckte sich. »Nun mach mal zu, Junge«, sagte Stefán und klang ungewöhnlich ungeduldig. »Wir müssen ihn erreichen, bevor die Leichen nach Reykjavík abtransportiert werden, die müssen wir uns nämlich zuerst anschauen.«
Árni sah seinen Vorgesetzten misstrauisch an. »Wir?«, fragte er. Stefán nickte. Árni gähnte wieder und schlenderte auf den Gang hinaus. Er war sich nicht sicher, wie das zu interpretieren war. Als Kriminalbeamten konnte man Stefán im Grunde genommen nur einen einzigen Vorwurf machen, nämlich den, dass er sich nach Möglichkeit um eine Leichenbeschau herumdrückte. Hin und wieder war es aber für ihn nicht zu umgehen, sich Leichen ansehen zu müssen, und zwar in unterschiedlichen Zuständen. Aber wenn irgend möglich, überließ er seinen Mitarbeitern diesen Teil der Tatortbegehung. Am liebsten Katrín. Wenn es die Umstände erforderten, dass jemand von der Kriminalpolizei anwesend sein musste und außer ihm niemand anderes verfügbar war, versuchte er manchmal sogar, eine Leichenschau hinauszuschieben.
Der Rechtsmediziner Geir, der meistens diesen ebenso unerfreulichen wie unverzichtbaren Teil einer Ermittlung übernahm, wenn es um einen Todesfall ging, nannte
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