Blutberg - Kriminalroman
wirbelte den glitzernden Pulverschnee meterhoch durch die Gegend, was nicht dazu beitrug, Árnis klaustrophobische Gefühle zu verringern. Er musste sich regelrecht zwingen, aus dem warmen Auto auszusteigen und hinter seinen Kollegen her durch das beißende Schneetreiben zu einem zweistöckigen grünen Kasten zu stapfen, der eher an aufeinandergestapelte Container als an ein Bauwerk von Menschenhand erinnerte. Auf dem Boden im Eingangsbereich lagen haufenweise Schuhe herum, und vielfarbige Helme sowie blaugraue Anoraks an Haken gaben zu verstehen, dass man sich gewisser Kleidungsstücke zu entledigen hatte, bevor man das Gebäude betrat. Árni tat es den anderen nach und zog sich die ausgelatschten Turnschuhe aus, passte aber nicht auf und stieg in eine Schneematschpfütze, die sich neben einem Paar stahlkappenbewehrter Arbeitsstiefel gebildet hatte. Der Linoleumbelag unter seinen Füßen fühlte sich eiskalt an, und Árni wurde ein weiteres Mal bewusst, wie schlecht er für diese Expedition gerüstet war. Er kam aber nicht dazu, seine Wollsockenlosigkeit zu verfluchen, denn ein schlecht rasierter Mann kam die Treppe gegenüber dem Eingangsbereich heruntergerannt und starrte sie aus stark geröteten Augen an.
»Matthías«, stellte er sich vor, und seine durchdringende Stimme klang ziemlich zittrig. »Ich bin der leitende Ingenieur vor Ort. Ihr seid vermutlich von der Kriminalpolizei?« Stefán
nickte zustimmend. »Gut, sehr gut. Ich habe euch schon erwartet, das heißt, wir haben euch erwartet. Es ist alles … es ist nichts … ich meine - bitte schön, kommt herein, ich … wir haben alles für euch vorbereitet.« Er verneigte und verbeugte sich vor ihnen wie ein Lakai früherer Zeiten, und gab ihnen mit seinen Handbewegungen zu verstehen, dass sie die Treppe hinaufgehen sollten. Stefán warf seinen Mitarbeitern, die ihn fragend ansahen, einen vielsagenden Blick zu, bevor er Matthías zunickte.
»Danke«, sagte er, während er hinter Matthías die Treppe erklomm. »Ich würde gerne unsere Kollegen aus Egilsstaðir treffen, sind die nicht hier irgendwo?« Katrín, Guðni und Árni folgten ihnen.
»Doch, ich glaube, die sind auf der Polizeistation«, antwortete Matthías, »die habt ihr vielleicht gesehen?« Stefán schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte Matthías beinahe entschuldigend. »Die ist … an der seid ihr vorbeigefahren, sie befindet sich hier gleich in der Nähe, aber sie macht nicht sonderlich viel her. Ich werde ihnen Bescheid geben, dass ihr da seid.« Er bog nach links um eine Ecke. »Ich … wir haben die Büros von Halldór und Björn für euch geräumt. Sie … sind ums Leben gekommen. Es sind nur zwei Büros, aber bei Bedarf könnten wir euch noch mehr Räume zur Verfügung stellen. Im Augenblick jedoch …« Er blieb vor einer offenen Tür mitten auf dem Flur stehen und fing wieder an, sich zu verneigen. Der Mann kroch offensichtlich auf dem Zahnfleisch. »Es geht um die Überführung der Leichen nach Reykjavík«, erklärte er kurzatmig, »deswegen lasse ich euch hier jetzt allein. Ich muss mich um den Transport kümmern.« Er rieb sich die Handflächen, und sein unablässiges Kopfnicken erinnerte an eine Witzfigur in einem schlechten Film.
»Lárus müsste eigentlich schon hier sein«, murmelte er. »Er wird euch behilflich sein und eure Fragen beantworten.
Euch alles sagen, was … was ihr … bitte schön, es ist alles da: Telefon, Internetanschluss, alles was ihr braucht. Ich muss zusehen, dass die Leichen nach Reykjavík kommen. Bitte sehr.« Er senkte den Kopf mit dem Bürstenschnitt und stiefelte an ihnen vorbei, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, brummte etwas vor sich hin und verschwand um die nächste Ecke.
»Also ich denke …«, begann Stefán, doch der Rest des Satzes ging in einem erstickten Schrei und lautem Gepolter unter. Alle vier rannten in Richtung Treppe. Matthías lag mit ausgebreiteten Armen, offenem Mund und geschlossenen Augen bewegungslos auf dem Treppenabsatz. Stefán nahm die Treppe in zwei Sprüngen und beugte sich über ihn, während die anderen drei dicht nebenaneinander oben an der Brüstung stehen blieben. Ein paar neugierige Gesichter spähten aus einigen Türöffnungen, und nach und nach füllte sich der Korridor mit Menschen.
»Gibt es hier einen Krankenwagen?«, fragte Stefán. »Und einen Arzt?« Irgendjemand bestätigte das und erklärte sich bereit, die Anrufe zu übernehmen. Katrín bat einen Mann, der neben ihr stand und unablässig
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