Blutberg - Kriminalroman
mindestens noch zwanzig andere im Einsatz«, sagte er, »und zwar über das ganze Gelände verteilt. Bei allen Stollenmündungen, oben am Berg, einfach überall. Und die anderen Arbeitsgelände sind ebenfalls abgedeckt.«
»Die anderen Arbeitsgelände?«, fragte Stefán.
»Zum Werksgelände gehören vier oder vielleicht sogar fünf Standorte, aber ich bezweifle, dass bei unserem Informationscenter unten im Tal etwas geschieht. Und wohl auch nicht beim Staudamm der Úlfarsá, das ist vielleicht so gesehen der sechste Bereich, aber da sind eigentlich die Arbeiten noch nicht so weit fortgeschritten, dass man da irgendetwas beschädigen könnte. Deswegen mache ich mir darüber keine Gedanken. Es geht also primär um dieses Gelände hier und dann auch die Zuführstollen Nummer eins, zwei und drei.«
»Sagt mir gar nichts«, erklärte Stefán.
»Also …«
»Nicht jetzt, die Uhr tickt. Wo sollen wir uns hinpflanzen?«
Lárus hatte Stefán versichert, dass die Verteilung der Leute über das Gelände ihnen einen so optimalen Überblick über das gesamte Areal gab, wie es in Anbetracht der Umstände möglich war. Stefán zweifelte zwar nicht an der Korrektheit dieser Behauptung oder an Lárus’ Fachkompetenz, doch trotzdem spürte er, dass irgendetwas bei dieser Aktion total verkehrt lief, und das machte ihn unruhig. Während er durch das dichte Schneetreiben hindurch auf die zerklüfteten Steilwände zu beiden Seiten starrte, ging es ihm durch den Kopf, dass die moderne Technik - so widersprüchlich es klang - eines der schlimmsten Handicaps war. Wegen der
ausgezeichneten Netzverbindung für Handys hier oben gab es nicht in jedem Auto ein Funkgerät. Vor zehn Jahren noch wären alle Fahrzeuge an so einem Ort mit Mobilfunk ausgestattet gewesen, und man hätte mit Leichtigkeit alle auf denselben Kanal einstellen können. Funkgeräte wurden zwar bis zu einem gewissen Grade auch noch eingesetzt, aber hauptsächlich in den verschiedenen Stollen, die man durch diese und jene Berge bohrte, und nur knapp die Hälfte der Autos, die für sie bereitgestellt wurden, verfügte über solche Geräte. Ein weiteres Handicap war natürlich die Sicht oder besser gesagt die fehlende Sicht. Wie hieß noch der Song, den er seinerzeit im amerikanischen Soldatensender gehört hatte, den hatten die Soldaten selbst geschrieben und gesungen.
» Horizontal snowstorm blues «, gab er sich halblaut die Antwort.
»Was?«, fragte der Fahrer.
»Nichts«, sagte Stefán. Er versuchte, sich mit dem Gedanken zu trösten, dass es wahrscheinlich gar keine Rolle spielte, da die Drohung der Grünen Armee wahrscheinlich ebenso leer wie kindisch war. Das half jedoch nicht viel. Nie in seinem Leben hatte er sich so gestresst gefühlt wie in diesem Augenblick, und obwohl er sich die größte Mühe gab, sich einzureden, dass es völlig grundlos war, änderte das kaum etwas. Unruhig auf seinem Sitz hin und her rutschend spähte er in alle Richtungen. Binnen kurzem hatte er den Fahrer angesteckt, der angestrengt auf seinen Nägeln kaute und sich offensichtlich sehnlichst wünschte, woanders zu sein als gerade jetzt hier mitten in der Schlucht. Zwei Minuten vor zwölf hielt Stefán es nicht länger aus. Er stieg aus dem Auto, kletterte auf die Ladefläche des Pickups und drehte sich im Kreis, um die gesamte Schlucht und die senkrecht aufragenden Felswände zu beiden Seiten im Auge zu behalten. Außer dem Zifferblatt seiner Uhr, auf das er alle zehn Sekunden starrte, sah
er aber gar nichts. Es wurde zwölf, und er hielt den Atem an. Nichts geschah. Die Sekunden schlichen voran und wurden zu Minuten. Abgesehen vom Heulen des Windes und dem Knirschen des Schnees unter seinen Füßen herrschte vollkommene Stille.
»Fünf vor halb«, murmelte Árni gähnend. »Jetzt wird ja wohl kaum noch etwas passieren.« Sein Fahrer, ein knapp zwanzigjähriger, rothaariger und sommersprossiger junger Mann in einem dunkelblauen Overall, gähnte zur Gesellschaft mit.
»Was hätte denn eurer Meinung nach hier passieren sollen?«, fragte er dann. »Auf was warten wir eigentlich hier?«
»Spielt keine Rolle«, antwortete Árni.
»Wie lange müssen wir noch hier herumhängen?«, nörgelte der Junge und kratzte sich am Ohr. »Ich habe Hunger.«
»Weiß nicht«, antwortete Árni, der erst vor kurzer Zeit wiederentdeckt hatte, welche Unmengen von Essen man sich in aberwitzig kurzer Zeit hineinstopfen konnte. »Es wird sich schon herausstellen.« Er blickte aus dem Autofenster
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