Blutberg - Kriminalroman
erst gelang, als Birgir sich entschloss, sie loszulassen. »Weshalb nicht?«, fragte er und klang schriller, als ihm lieb war. Einige der anderen Gefangenen blickten zu ihnen hinüber, als diese Frage überall widerhallte.
Birgir lächelte. Im Oberkiefer fehlte ein Zahn, und aus der Wunde sickerte noch das Blut. »Beispielsweise weil ich 1997 in den Westfjorden eine popelige Brücke gesprengt habe. Und geschnappt wurde.« Er musste lachen, als er Róberts Gesichtsausdruck sah. »Was denn, Mensch, ich war besoffen, und die Brücke war sowieso total altersschwach. Ich und meine Kumpel haben das aus Jux gemacht. Man kann also wohl kaum sagen, dass sie mich völlig grundlos festgenommen haben, oder?«
Róbert schüttelte unsicher den Kopf. »Vielleicht nicht, aber …«
»Und diese Lappalie«, fuhr Birgir fort, indem er auf den blutigen Gaumen deutete, »das zählt doch gar nicht. Ich hab mich zur Wehr gesetzt. Ich hatte zuerst keine Ahnung, was da
los war, diese Typen haben ja schließlich nicht angeklopft und mich höflich gebeten mitzukommen. Und du darfst mir gerne glauben, dass es denen nicht besser ergangen ist als mir.«
Róbert glaubte ihm das gern, fügte ihn aber trotzdem seiner Liste hinzu.
17
Dienstag
Steinþór und Auðunn saßen in der Polizeibaracke und starrten vor sich hin. Steinþór war stinksauer, und Auðunn war schlau genug, keinen Versuch zu machen, ihn zu beruhigen.
»Ausweise von mir zu verlangen«, murmelte Steinþór zum dritten Mal. »Pah! Eher sollten die sich ausweisen, schwarz vermummt von Kopf bis Fuß, wie die sind. Keine Chance, einen Kerl vom anderen zu unterscheiden.« Steinþór hatte sich auf der anderen Seite der Brücke befunden und war nach Egilsstaðir gefahren, nachdem die Brücke zerstört worden war. Es nutzte ja schließlich nichts, in Kárahnjúkar auf der anderen Seite der gähnenden Schlucht herumzuhängen, vielleicht bis abends oder spät in die Nacht, bis sie eine neue Zufahrt über den provisorischen Staudamm fertiggestellt hatten. Das waren zumindest die Gründe, die er dafür anführte, um sich abzusetzen, und da sich seine Frau damit zufriedengab, konnten andere es auch tun. Als er jedoch an diesem Dienstagmorgen wieder seinen Dienst antreten wollte, wurde ihm ein wesentlich unsanfterer Empfang zuteil als bei seiner Frau, und das konnte er nicht einfach so wegstecken. Als Auðunn ihm zudem noch berichtete, dass weder das SEK noch Stefán und sein Team nach ihm gefragt oder Auðunn um Mitarbeit
gebeten hatten, der ja an Ort und Stelle gewesen war, war er schockiert.
»Was die sich hier aufspielen, diese Typen aus Reykjavík«, sagte er bissig. »Die tun so, als wären wir gar nicht da. Was bilden die sich eigentlich ein?«
Auðunn war wieder so klug, keine Antwort darauf zu geben. Er starrte stattdessen beharrlich auf die Kopien der Sprengstofflisten, die auf dem Tisch lagen, obwohl er sie bereits ein paar Mal durchgegangen war. Steinþórs Ärger war immer noch nicht verraucht. »Und weshalb hast du dich nicht an sie gewandt?«, fragte er. »Es ist unser gutes Recht, an dieser Ermittlung teilzunehmen, jedenfalls, was diesen verdammten Bergsturz betrifft. Wieso hast du dich nicht bei Stefán gemeldet? Was hast du eigentlich die ganze Zeit gemacht?«
»Ich habe diesen Árni getroffen und ihn gebeten, Stefán zu sagen, dass ich hier wäre. Falls er mit mir sprechen wollte. Aber er ist nicht gekommen, und angerufen hat er auch nicht.«
»Und? Ist das vielleicht ein Grund, hier einfach auf deinem Arsch zu sitzen? Weil irgendein junger Spund vielleicht vergessen hat, etwas auszurichten, sitzt du hier auf deinem Hintern und bohrst in der Nase?«
Auðunn zog rasch den Zeigefinger aus der Nase und setzte sich gerade. Das war unfair. »Was hätte ich denn schon tun können?«, fragte er sauer. »Ich habe dem Mann Bescheid gegeben und keine Antwort bekommen. Hätte ich vielleicht zu ihm gehen und fragen sollen, ob ich bei ihnen mitspielen kann?«
»Ja«, antwortete Steinþór prompt, »genau das hättest du tun sollen, wenngleich du dich vielleicht etwas gewählter hättest ausdrücken können. Weshalb hast du das nicht gemacht?«
»Weil ich … ich …«
»Du, du?« fiel Steinþór ihm ins Wort und zog eine Grimasse.
»Ich … ich fand das zu blöde«, gab Auðunn schließlich etwas beschämt zu.
»Du fandest es zu blöde?«, imitierte Steinþór ihn mit allen Anzeichen der Entrüstung. »Du fandest es blöde, deine Arbeit zu tun, und deswegen hast du es
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