Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutbraut

Blutbraut

Titel: Blutbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Raven
Vom Netzwerk:
musste ausgerechnet dieser Tag so enden?
     
    Joaquín hatte gesagt, er würde am Brunnen auf mich warten, allerdings konnte ich ihn vom Durchgang zur Cantina aus nirgends sehen. Vermutlich hatte er dann doch nicht so schnell wieder mit mir gerechnet. Dann würde ich eben dort auf ihn warten.
    Langsam ging ich die Stufen hinunter, trat hinaus auf die Straße.
    Nichts rührte sich, als ich den Platz zum Brunnen hin überquerte. San Isandro schien wie ausgestorben. Die Türen dieser altmodisch-spanisch wirkenden Kirche, die ihre weißen Mauern auf der Schmalseite des Platzes in den dunklen Himmel reckte, standen weit offen. Vielleicht, um die Kühle der Nacht hineinzulassen. Die Stufen aus hellem Sandstein, die zu ihnen hinaufführten, waren in der Mitte ausgetreten. Eine von ihnen war gebrochen und hatte sich zu einer Seite hin ein wenig gesenkt. Der Mond schien hell genug, dass ich die feinen Risse in einer anderen gerade noch erkennen konnte. In der Wand hoch über ihrem Eingang hingen – jede in einer Art ›Fenster‹ – drei große Glocken wie in einem Dreieck übereinander.
    Neugierde trieb mich hinüber. Schritt um Schritt stieg ich die Stufen hinauf. Ich hatte noch nie eine dieser alten Missionarskirchen von innen gesehen. In der Tür blieb ich stehen und spähte hinein. Links von mir flackerte auf einem eisernen Opferstock
ein Meer von Kerzen in der Nachtluft. Steinsäulen trugen das Deckengewölbe. Die Wände waren hell und ungefähr in Schulterhöhe mit einem gemalten Fries verziert. In kleinen Nischen standen Heiligenfiguren, dazwischen hingen überraschend dunkle Bilder. Eine knapp hüfthohe Brüstung aus gedrechselten Pfosten trennte den Kirchenraum vom Altar, über dem der heilige Franz von Assisi inmitten einer Schar der unterschiedlichsten Tiere von einem atemberaubenden Fresko auf die Bankreihen aus sandfarbenem Holz herabblickte.
    In der ersten, direkt an dem Gang in der Mitte, saß eine schwarz gekleidete, ältere Frau – die Frau, die zusammen mit der jüngeren aus der Kirche gekommen war, als Cris mich in Elenas Cantina geschoben hatte. Und unmittelbar neben ihr … kniete er auf den terrakottafarbenen Bodenfliesen. Ich traute meinen Augen nicht. Er hielt den Blick gesenkt. Ich hörte seine Stimme; die ältere Frau, als sie ihm antwortete. Nur ein Murmeln in dem Halbdunkel des Kerzenscheins, zu leise, als dass ich einen von beiden verstehen konnte. Wieder sagte er etwas, schüttelte den Kopf. Ich hielt den Atem an, als die Frau die Hand hob, ihm sacht durchs Haar strich. Erst jetzt sah er zu ihr auf.
    Hastig machte ich einen Schritt zurück, einen zweiten. Das hier war nicht für meine Augen bestimmt. Das hier war für niemandes Augen bestimmt. Beinah wäre ich von der Treppenkante abgetreten. Ich drehte mich um, stieg die Stufen zur Kirche wieder hinunter – so schnell, wie es mir möglich war, ohne dabei einen Laut zu verursachen.
    Ich blieb erst stehen, als ich den Brunnen erreicht hatte, sank auf seinen Rand. Joaquín de Alvaro vor einer alten Frau demütig auf den Knien wie ein … ja, was? Einer, der sich Vergebung für seine Sünden erhoffte?

    Dabei hatte Tante María immer gesagt, die Menschen in ihren ›Dörfern‹ seien für sie nicht viel mehr als Blutvieh; würden durch Magie und Terror zum Gehorsam gezwungen. Und zum Schweigen. Aber das alles hier – San Isandro, Elena, die Menschen, die in der Cantina meinen Geburtstag feierten, den Geburtstag seiner Sanguaíera –, es passte nicht. Zumindest nicht zu dem Bild, das Tante María mir immer gezeichnet hatte. Oder? Aber warum sollte sie mir nicht die Wahrheit gesagt haben? Oder war das hier doch ein Trick von ihm? Konnte jemand wie er die Leute hier so vollständig in der Hand haben, dass sie eine solche Scharade für ihn abzogen? Aber selbst wenn: sein Streit mit Cris gerade; das, was da in der Kirche vor sich ging … das war nicht gefaked. So viel Mühe würde sich kein halbwegs vernünftig denkender Mensch machen, nur auf die vage Möglichkeit hin, dass ich es tatsächlich mit ansehen könnte. Aber wenn das kein Trick war, hieß das, dass Tante María mich doch angelogen hatte? Ich rieb mir übers Gesicht. Es fühlte sich an, als würde ich mich im Kreis drehen. Nicht zum ersten Mal, seit Rafael mich aus Boston entführt hatte. Ich ließ die Hände wieder sinken, verdrängte den Gedanken. Noch drei Tage, dann war ich frei – zumindest, wenn er sein Wort hielt. Dass ich daran nicht zweifelte, überraschte mich selbst. Wenn

Weitere Kostenlose Bücher