Blutbraut
Magen. Gerade machte er einen Schritt auf mich zu, neigte den Kopf ein wenig zur Seite. Ich schluckte. Für eine Sekunde schienen seine Augen zu meiner Kehle zu zucken, dann hoben sie sich wieder zu meinem Gesicht. Farblos glitzernd.
»Wohin willst du mit mir?« Möglichst unauffällig wich ich vor ihm zurück, bückte mich, hob die Lackschachtel von der Mauerecke auf. Als ich mich wieder aufrichtete, hing sein Blick noch immer auf mir. Meine Hände waren mit einem Mal eiskalt.
Langsam und tief sog er die Luft ein. Seine Lippen kräuselten sich. Ich schluckte erneut. Diesmal lagen seine Augen länger auf meiner Kehle.
»Ich will dir Santa Reyada zeigen. Und noch ein bisschen mehr. Wir sind bis Sonnenuntergang wieder zurück. Versprochen. «
»Santa Reyada?« Unwillkürlich warf ich einen Blick hinter mich. Meine Handbewegung galt nicht nur dem Haus. »Ich dachte, das hier …«
»Das ›alte‹ Santa Reyada …« Seine Stimme klang plötzlich noch rauer und kehliger. Die Worte endeten in einem Stöhnen. Ich fuhr zu ihm herum. Er hatte mich bei den Haaren, ehe ich die Bewegung zu Ende geführt hatte, und bog meinen Kopf zurück. Die Lackschachtel zersplitterte auf dem Boden. Sein Atem schlug gegen meinen Hals. Der Schrei stak in meiner Kehle. Meine Lungen weigerten sich zu arbeiten. Ich umkrallte sein Handgelenk, brachte keinen Laut heraus, starrte nur mit weit aufgerissenen Augen zu ihm auf. Er starrte zurück, die Oberlippe zurückgezogen, die Zähne gefletscht; weiß und spitz und scharf. Seine zweite Hand strich über meinen Mund, das Kinn, abwärts. Ich spürte seine Fingernägel. Nein! Nein! Bitte! Nein! Joa…
»… aquin!«
Aufheulen. Ein Stoß. Ich landete auf Händen und Knien. Schmerz, als sich etwas in meine Handfläche grub. Krachen hinter mir. Ich schrie, zuckte herum, kroch rückwärts auf die
nächste Stufe. Einer der Liegestühle zwischen uns war umgekippt, zerbrochen. Er lag dahinter auf dem Boden, hatte sich halb zu mir umgewandt, auf Ellbogen und eine Hand gestützt, sah mich an, die Augen farblosglitzernd, krümmte sich, keuchte … »In dein Zimmer! Verschließ die Tür! Und komm heute Nacht nicht mehr heraus!« Seine Worte waren kaum zu verstehen. Ich konnte mich nicht rühren, starrte ihn an. Bis er mit überschnappender Stimme »Lauf!« brüllte.
Als mein Verstand wieder einsetzte, stand ich auf meinem Bett, den Rücken gegen die Wand über dem Kopfende gepresst, mein Springmesser in der Hand, so fest umklammert, dass meine Finger taub waren. Meine Atemzüge kamen in hohen Japsern. Ich zitterte am ganzen Körper. Oh mein Gott, war der einzige Gedanke, zu dem ich im ersten Moment fähig war. Irgendwann rutschte ich mit dem Rücken an der Wand entlang abwärts, legte das Messer neben mich auf das Kissen, zog die Knie dicht an den Leib. Sie waren aufgeschürft. Ebenso wie meine Handflächen. In einer steckte ein schwarzer Splitter. Ohne es wirklich zu merken, zog ich ihn mit den Fingernägeln heraus. Mein Schienbein färbte sich schon blau. Ich musste es mir an einer Stufenkante angeschlagen haben, als er mich von sich gestoßen … Gestoßen! Für eine Sekunde hielt ich den Atem an. Er hatte mich von sich gestoßen! Der Gedanke brachte die Erinnerung zurück. Sein Aufheulen, der Stoß, der mich von ihm weg und auf die Treppe geschleudert hatte … Er hatte mich von sich weg gestoßen! Und war obendrein offenbar so hastig vor mir zurückgewichen, dass er über diese Liege gefallen war. Was sonst sollte das Krachen gewesen sein? Oh mein Gott. Er hatte mich angebrüllt, ich sollte mich in meinem Zimmer in Sicherheit
bringen, nicht mehr herauskommen … Wie in Zeitlupe schob ich mich weiter in die Mitte des Bettes, von ihm herunter, sank daneben auf die Knie. Meine Kopfhaut pochte. Gut möglich, dass er mir ein paar Haare ausgerissen hatte. Rosa war auf einmal um mich. Wie lange schon? Der Vorhang vor der Glastür auf meine Terrasse wehte auf. Wieder und wieder. Mit jedem Mal scheinbar ungeduldiger. Als ich mich vom Boden hochdrückte und hinübertappte, endete es. Vorsichtig stieß ich die Tür auf, trat hinaus. Rosa blieb hinter mir zurück. Darauf bedacht, keinen Laut zu verursachen, ging ich zum Geländer und blickte hinab auf den Pool. Mein Herz klopfte wie verrückt. Es fühlte sich an, als würde eine riesige Faust sich sehr, sehr langsam immer enger um meine Lungen schließen. Ich schlang die Arme um mich, wollte es zumindest, bis ich merkte, dass ich den Armreif mit der Hand
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