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Blutbraut

Blutbraut

Titel: Blutbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Raven
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beschütze. Ich töte für die, die ich liebe. Ich bin ein Killer. Und du hast Mitleid mit mir?«
    Eine Sekunde stand ich einfach nur da und wusste nicht, was ich sagen sollte; oder konnte. Er hatte recht. Eigentlich müsste ich Angst vor ihm haben, müsste ich ihn verabscheuen. An seinen Händen klebte Blut. Möglicherweise mehr als an denen der anderen großen Hexer der Hermandad. Ich tat es nicht. Und wusste nicht, warum. Weil er dafür sorgte, dass sich jemand um Anna kümmerte? Weil ich gesehen hatte, wie er vor einer alten Frau auf den Knien lag, deren Enkel gestorben war? Weil es in San Isandro Frauen gab, die sich darauf freuten, für das Kleid seiner Blutbraut Maß zu nehmen? Ich wusste es nicht. Es war einfach so. Er tat mir leid. Weil er sich anhörte, als würde er es nicht gern tun. – Was allem widersprach, was ich von Tante María über ihn wusste.
    Wann hatte ich erneut einen Schritt die Treppe abwärts gemacht, weiter auf ihn zu? Als ich jedoch die nächste Stufe hinuntertrat, hob er abrupt die Hand.
    »Nein! Nicht näher!« Die Worte kamen hart und scharf. Und gepresst, als würde er auf einmal die Zähne zusammenbeißen. Ich blieb stehen. »Es ist besser … wenn du mir heute Nacht nicht zu nahe kommst!« Seine Oberlippe hob sich. Seine Fänge … Von einer Sekunde zur nächsten war wieder jene so vertraute Enge in meiner Brust. Die ganze Zeit war sie nicht da gewesen. Und das, obwohl er mir in all seiner entsetzlichen Beinah-Nosferatu-Schönheit gegenübergestanden hatte; obwohl ich mehr als einmal in seine farblos glitzernden Augen geschaut hatte; ich die Spitzen seiner Fänge hinter seinen Lippen aufschimmern gesehen hatte … Ich presste die Handflächen gegeneinander.

    »Zuerst komme ich hierher und du bist verschwunden … Dann du und Anna …« Die Bewegung, mit der er die Schultern hob, wirkte seltsam verlegen und irgendwie … hilflos. »Das war ein bisschen viel für meine … Selbstbeherrschung. Wir sollten kein Risiko eingehen …« Er hatte die Hand in die Hosentasche geschoben. Auf der Seite, auf der er das Tablettenfläschchen mit sich herumtrug. Sah es nur so aus oder hatte er sie tatsächlich darumgelegt? Wie um einen Rettungsanker? »Lucinda, es gibt da etwas …«, setzte er genau in dem Moment an, in dem ich »Was ist das für ein Zeug?«, fragte.
    Verwirrt runzelte er die Stirn. »Wovon sprichst du?«
    Mit dem Kinn wies ich auf seine Hosentasche. »Die Tabletten. Was ist das für ein Zeug?«
    Wie ertappt sah er an sich hinab, zog hastig die Hand zurück. »Nichts Wichtiges.« Er sagte es viel zu schnell.
    Ich schnaubte. »Als mir jemand das letzte Mal erzählt hat, etwas wäre ›nicht wichtig‹, hat er mir nur verschwiegen, dass zwei Menschen gestorben sind. – Also, was ist das für ein Zeug?«
    Er sah mir fest in die Augen. »Kopfschmerztabletten.«
    Dummerweise kannte nicht nur er diese Theorien, was das Lügen und Jemandem-dabei-nicht-in-die-Augen-Sehen betraf. »Mhm. Und ich bin die Kaiserin von China.«
    Sein Lachen war komplett humorlos. »Angenehm, Kaiserliche Majestät.«
    Abermals stieß ich ein Schnauben aus. »Was ist das für ein Zeug?« Warum ließ ich es nicht einfach gut sein, nachdem er es mir offenbar nicht sagen wollte? Noch eine Frage heute Nacht, die ich mit einem ›Ich wusste es nicht‹ beantwortete.
    Mit einem Seufzen vergrub er die Hand erneut in der Hosentasche. Noch tiefer diesmal. »Also gut. Ein Beruhigungsmittel.«

    »Beruhigungsmittel?«, wiederholte ich ungläubig. Das Bild der kleinen, weißen Pillen in einem Plastikbecherchen war einfach da. Harmlos hatten sie sie damals genannt. In der Klinik. Die Türen waren immer verschlossen gewesen. Gitter vor den Fenstern. Geruch von Desinfektionsmitteln. Ich hatte mich mit aller Kraft dagegen gewehrt, sie zu schlucken. Hatte dieses Gefühl gehasst, dass etwas zwischen mir und der Welt war, wie ein feiner Schleier; wie Spinnweb …
    »Luz?« Als er meinen Namen sagte, zuckte ich zusammen. »Alles in Ordnung?«
    Eine Sekunde kämpfte ich darum, in die Wirklichkeit zurückzufinden. Dann nickte ich rasch. Seine Augen hingen auf mir; besorgt, diamanten. Ich hatte nicht mitbekommen, wie er einen Schritt auf mich zugemacht hatte. Nein, zwei.
    Trotzdem blieb ich, wo ich war. »Alles in Ordnung. – Wofür … nimmst du sie?«
    Er zögerte. So als würde er überlegen, ob er noch einmal versuchen sollte, mich anzulügen. Wie er diesmal die Schultern hob, wirkte … unbewusst. »Sie helfen mir, deine Nähe

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