Blutbraut
kleine schwarze Schachtel ins Mondlicht, damit ich sie sehen konnte. »… schon heute Morgen geben, aber … na ja … und nach dem Anruf zwischen Tür und Angel erschien es mir nicht mehr richtig …« Seine Hand stoppte mich abermals, bevor ich auch nur einen Schritt auf ihn zu machen konnte. »Nein! Warte! Ich leg es hierher. Und … du holst es dir dann.« Er ließ mir keine Chance, zu antworten, legte die Schachtel auf die Terrakottafliese am unteren Ende der Mauer, die die Treppe zu beiden Seiten einfasste, und trat ein Stück zurück. Erst auf sein Nicken ging ich hinunter und bückte mich nach der Schachtel.
Beklommen und bewundernd zugleich strich ich mit den Fingern über den kühlen, spiegelnd schwarzen Lack, der mich unwillkürlich an den Flügel in der Halle erinnerte. Auf zwei Seiten waren perlmutterne Ornamente eingesetzt. Sie war wunderschön – aber es schien keine Möglichkeit zu geben, sie zu öffnen. Ein wenig unschlüssig drehte ich sie in den Händen, nicht sicher, welche Reaktion er von mir erwartete. »Danke! Sie ist …«
»Drück auf die beiden Seiten mit dem Perlmutt. In der Mitte.«
Verwirrt sah ich kurz zu ihm hin, dann gehorchte ich. Mit
einem leisen Klacken sprang das, was offenbar die obere Seite war, einen winzigen Spaltbreit auf. Vorsichtig schob ich den Fingernagel dazwischen und öffnete die Schachtel ganz.
»Und … vielleicht hast du Lust, den Ausflug, den ich eigentlich heute mit dir machen wollte, morgen nachzuholen?«
Weiße Seide kam zum Vorschein. Unter der noch etwas lag. Ich schlug sie zurück. Und schnappte nach Luft. Ein Armreif. Nicht breiter als mein kleiner Finger. Und schmal. Als wäre er für eine Frau mit schlanken Händen und ebensolchen Handgelenken gemacht worden. Für jemanden wie mich. Plötzlich fühlten meine Beine sich weich an. Hastig setzte ich mich auf die unterste Stufe, balancierte die Schachtel auf meinen Knien und nahm den Reif heraus. Auf seinem Silber wechselten sich Türkise mit Mondsteinen ab. Dazwischen waren vier Bernsteine eingesetzt, auf jeder ›Seite‹ einer. Zwei kleine Stücke rote Koralle glänzten einander gegenüber. Behutsam strich ich über die Steine. Türkise und Mondstein für Wasser und Wind, Bernstein für Erde und die Koralle für Feuer. Ich glaubte sogar, einen der Türkise zu erkennen. Hatte er ihn mir nicht am ersten Tag in seinem Laboratorium in die Hand gegeben? Weil ich ihn ›spüren‹ sollte? Hatte er nicht die gleiche dunkle Linie gehabt, die ihn in einem schmalen Spalt regelrecht zu teilen schien?
Auf der Innenseite war etwas in das Silber eingraviert. Keine Siegel. Etwas … anderes. Das sich vor meinen Augen zu verändern, in ihm zu verschwinden schien.
»Er soll dir helfen, unsere Hitze besser zu ertragen«, sagte er leise. Trotz ihrer Rauheit und dem Knurren klang seine Stimme … sanft. »Der andere Teil deines Geburtstagsgeschenks … kommt noch. – ¡Feliz cumpleaños!« Ich schluckte, blickte zu ihm auf. Er stand noch immer an der gleichen Stelle. In meiner
Kehle hing ein Knoten. Er hatte diesen Armreif für mich gemacht. Ich brachte keinen Ton heraus. Ein Schatten huschte über seine Züge. »Er … gefällt dir nicht.«
»Nein!« Schnell stand ich von meiner Stufe auf. Um ein Haar wäre mir die Schachtel auf die Fliesen gefallen. Im letzten Moment schaffte ich es, sie gegen meine Schienbeine zu drücken und festzuhalten. Vorsichtig stellte ich sie hinter mir auf die Treppenmauer und richtete mich endgültig auf. Den Armreif in meinen bebenden Fingern, ging ich ein paar Schritte auf ihn zu. »Er ist wunderschön.« Ich brachte nur ein Flüstern zustande. Seine Augen lagen unverwandt auf mir. Behutsam streifte ich ihn über meine Hand. Er war eng, aber als ich ihn dann am Handgelenk hatte, passte er genau so, wie ich es mochte. Ich streckte ihm meinen Arm entgegen, damit er ihn anschauen konnte. Die Innenseite nach unten, um die Narben dort wenigstens ein bisschen zu verbergen. »Er ist … einfach wunderschön. « Noch nie hatte mir jemand so etwas Schönes geschenkt. »Vielen Dank.«
Seine Erleichterung war nicht zu übersehen. Er nickte und lächelte – auf eine Art, die ich noch nie bei ihm gesehen hatte.
»Und, magst du?«
»Was?«
»Der Ausflug, den ich eigentlich heute – oder besser gestern – mit dir machen wollte … Magst du ihn heute nachholen?«
Natürlich. Er hatte mit diese Frage eben schon einmal gestellt. Plötzlich saß jenes nur zu vertraute Zittern wieder in meinem
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