Blutbraut
dann schüttelte er in einer entschiedenen Bewegung den Kopf. »Genug von den alten Geschichten. – Bereit?«
»Wofür?« Überrascht sah ich ihn an.
»Um weiterzugehen.«
Ich versuchte meine Verwirrung gar nicht zu verbergen. » Wohin? «
»Ein Stück weit den Berg hinauf. Eine gute halbe Stunde zu Fuß.«
Ich schaute ihm nach, als er sich umwandte und zum Wagen zurückging. Und ich hatte mich schon gewundert, warum er so zum Aufbruch gedrängt hatte, um noch vor dem Mittag ›da‹ zu sein, nachdem wir nur eine knappe Dreiviertelstunde bis hierher gebraucht hatten. Das hier war gar nicht unser eigentliches Ziel.
Hastig lief ich ihm nach. Als ich ihn erreichte, hatte er die Heckklappe bereits geöffnet und war dabei, den Inhalt einer Kühlbox in einen Rucksack zu packen. »Wo gehen wir hin?«
»Ich möchte dir etwas zeigen. – Hier!« Er drückte mir eine kleine Plastikflasche in die Hände.
»Das ist keine Antwort auf meine Frage.« Im ersten Moment ein wenig perplex, starrte ich darauf. Sonnencreme.
»Dann lass dich überraschen. – Komm schon, eincremen!«
Ich riss den Blick von dem Fläschchen los, öffnete den Mund, um ihm zu sagen, was ich von Überraschungen hielt, schloss ihn aber wieder, als er sich zu mir umdrehte. Und mich verwirrend ernst ansah. »Ich möchte dir einen Ort zeigen, den bisher niemand außer mir kennt. Auch Cris nicht.«
»Aber Rafael.«
»Rafael weiß, dass es ihn gibt, weiß allerdings weder, wo genau er ist, noch war er jemals da. Und ich verlasse mich darauf, dass du keinem jemals davon erzählst und auch nie irgendjemanden dorthin führst.«
»Und was, wenn ich es doch tue?«
»Dann hätte ich mich sehr in dir getäuscht.« Er wandte sich wieder dem Rucksack zu und packte weiter. Einen Augenblick beobachtete ich ihn schweigend dabei, dann öffnete ich die Sonnencreme und verteilte sie sorgfältig auf der Haut. Himmel, war das Zeug dünnflüssig. Aber zumindest roch es halbwegs angenehm.
Kaum hatte ich die Flasche wieder zugeschraubt, pflückte er sie mir schon aus den Händen und verstaute sie ebenfalls in einem Seitenfach des Rucksacks. Als er sich diesmal wieder zu mir umdrehte, hängte er mir eine Wasserflasche um; den Riemen um meinen Nacken, sodass die Flasche selbst vor meinem Bauch baumelte. Trugen auf diese Art nicht kleine Kinder ihre Kindergartentäschchen um den Hals? Na danke. Mit einem kleinen Zischen schob ich den Arm durch den Riemen und zog die Flasche so weit herum, dass sie mir auf der Hüfte lag. Er sagte nichts dazu. Aber das kurze Zucken in seinem Mundwinkel, während er den Rucksack zuschnürte, verriet mir, dass er sich sehr wohl bewusst gewesen war, wie er mir das Ding umgehängt hatte. Seine eigene Wasserflasche hatte er mit einem Clip am Gürtel befestigt.
Einen Moment beugte er sich dann weiter in den Gepäckraum des Geländewagens, förderte einen breitkrempigen Hut zutage.
»Der gehört eigentlich Cris.« Bevor ich überhaupt begriffen hatte, was er von mir wollte, hatte er ihn mir schon übergestülpt. Scheinbar zufrieden mit sich nickte er. »Na also. Vielleicht einen Tick zu groß, aber besser als ein Sonnenstich.« Gekonnt schwang er sich den Rucksack über die Schulter, setzte einen zweiten Hut auf, der offenbar sein eigener war, scheuchte mich mit einer kleinen Geste einen Schritt vom Wagen fort, trat
selbst zurück und schlug die Heckklappe zu. »Können wir?«, fragte er, während er um den Wagen herum zur Beifahrertür ging, sie öffnete, sich vorbeugte, sein Handy aus der Hosentasche zog und ins Handschuhfach legte. Wenn ich gehofft hatte, er würde mit dem Tablettenfläschchen dasselbe tun, wurde ich enttäuscht. Gleich darauf blinkten die Scheinwerfer kurz auf und die Alarmanlage gab ein Quieken von sich.
Abermals sah er mich an. Erwartungsvoll. Neigte den Kopf ein kleines Stück zur Seite. Als ich nickte, drehte er sich um und ging voraus. Ich beeilte mich, zu ihm aufzuschließen und – zumindest halbwegs auf gleicher Höhe – neben ihm herzugehen. Die Dolchscheide drückte sich in meinen Rücken.
Er führte mich neben der Kirche vorbei und dann an einer Spalte im Boden entlang, die sich vielleicht dreißig oder vierzig Inch tief in die festgebackene Erde fraß, auf die Berge hinter dem Dorf zu.
Je weiter wir uns von Santa Reyada entfernten, umso gerölliger wurde der Untergrund. Kleine Steine und Schotter knirschten unter unseren Schritten. Vereinzelt trotzten ein paar Wüstenbüsche der Hitze, ihre kleinen blassen
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