Blutbraut
einem weiten Kreis wie leer geräumt erschien. Wie in der Kirche in San Isandro trennte ein hüfthohes Geländer ihn von dem eigentlichen Kirchenschiff. Nur dass dieses hier aus glatten, steinernen Säulen bestand. An zwei oder drei Stellen klafften fast meterbreite Löcher darin. Und wie in San Isandro waren die Wände mit einem gemalten Relief verziert. Auch wenn es bei all den Rissen in den Mauern und dem bröckelnden Putz nur noch schwer zu erkennen war. Das Dach musste eine einfache Holzkonstruktion gewesen sein, und als ein Teil der Säulen, die es getragen hatten, zusammengebrochen war, war es an diesen Stellen ebenfalls eingestürzt.
Langsam ging ich weiter, sah mich um, legte den Kopf immer wieder in den Nacken, blickte nach oben. Jeder meiner Schritte war von einem leisen Knirschen begleitet. Ich war nie ein besonderer Kirchen-Fan gewesen, aber diese hier … faszinierte mich. Auf eine irgendwie … morbide Weise. Und weckte zugleich eine seltsame Trauer in mir.
In dem ›Kreis‹ vor dem Altarraum blieb ich stehen, drehte mich nach ihm um. Er stand noch immer in der Tür. »Was ist passiert?«, wiederholte ich meine Frage von zuvor.
»Sie kamen hierher und richteten ein Blutbad an. Acht oder neun Hexer des Ordre und ihre Lakaien. – Männer, Frauen, Kinder. Sie töteten wahllos. Dass sie nicht mit einem ›Gott will es‹ in diese ›Schlacht‹ gezogen sind, war vermutlich alles.« Endlich kam auch er einen Schritt ins Innere der Kirche, kickte einen Mauerbrocken beiseite. »Ironie des Schicksals war, während hier die Scheiterhaufen brannten, war mein Ururururururgroßvater zusammen mit den Oberhäuptern von neun anderen gebannten Familien in Rouen, um mit den Prioren des Ordre eine
Art … Nichtangriffspakt auszuhandeln. Böse Zungen behaupteten im Nachhinein allerdings, das Ganze sei deshalb für genau diesen Zeitpunkt geplant gewesen. Als er zurückkam, gab es Santa Reyada nicht mehr.« Auf Höhe der ersten Säule blieb er wieder stehen. »Die, die den Hexerfamilien, die sich hierher zurückgezogen hatten, die Treue hielten, haben sie draußen vor der Kirche verbrannt. Die Hexer, die sie in die Hände bekamen, wurden hier in der Kirche hingerichtet. Da, wo du jetzt stehst. Sie sollen keine Chance gehabt haben.«
Unwillkürlich zuckte mein Blick zu dem Boden unter meinen Füßen, während ich gleichzeitig hastig einen Schritt zurückwich. Beinah wäre ich über die Reste eines Dachbalkens gefallen. Irrte ich mich oder wirkten die Steinplatten hier dunkler als im Rest der Kirche?
»Warum haben sie sich nicht gewehrt? Ich meine … sie waren doch auch … Hexer …«
»Natürlich haben sie sich gewehrt. Aber zum einen waren bereits zum damaligen Zeitpunkt die Hexer der Hermandad mit ihren Macht – und Intrigenspielchen untereinander zerstritten – selbst hier – und zum anderen waren mit meinem Urgroßvater und Amado Moraga zwei der drei mächtigsten Hexer von Santa Reyada nicht hier, um das Dorf zu beschützen. Die einzigen, die wirklich eine ernsthafte Gefahr für die Übermacht der Hexer des Ordre dargestellt hätten, wenn sie denn zusammengearbeitet hätten, waren das Oberhaupt der de-Silva-Familie, Celio, und Amado Moragas Sohn Geraldo. Und nach dem, was überliefert ist, waren sie die Ersten, die starben.« Seine Augen glitten durch das Innere der Kirche. »Der Ordre wusste ganz genau, in welcher Reihenfolge er die Hexer von Santa Reyada ausschalten musste.«
»Haben sie wirklich alle …« … umgebracht? Ich konnte den Satz nicht zu Ende bringen.
Er sah mich wieder an, schüttelte leicht den Kopf. »No. Ein Teil konnte in die Berge fliehen. – Was nichts daran ändert, dass der Ordre seit diesem Tag zwei Drittel der Bewohner von Santa Reyada auf dem Gewissen hat, dazu zwei Hexer der Moragas und drei der de Silvas. Einer war nicht mehr als ein Kind. Von den de Alvaros überlebten nur die Frau meines Urgroßvaters und sein Sohn Ramiro.« Er schob die Hände tiefer in die Hosentaschen. »Und sie konnten vermutlich auch nur deshalb entkommen, weil Santa Reyada selbst sich ›erhoben‹ und die Hexer des Ordre ›verschlungen‹ haben soll. – Das zumindest sagen die Überlieferungen.«
Mein Blick huschte an ihm vorbei, zur Tür, auf deren anderer Seite die Sonne alles in Grelle tauchte. Von hier aus konnte ich nur den Schatten des Brunnens am Boden sehen. Verständnislos runzelte ich die Stirn. »Santa Reyada hat sich ›erhoben‹? Was soll das heißen?« Hatten die Risse in der Erde
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