Blutbraut
diesmal senkrechten Spalt zwischen zwei Felsen, der anscheinend in den Hang hineinführte. Der Boden unter unseren Füßen hatte sich von Stein wieder in trockene Erde verwandelt und das Licht hatte einen leicht gelb-rötlichen Ton angenommen. Bereits nach einem guten Meter versperrte der nächste Felsen
uns den Weg. Offenbar ging es hier abermals nur links an ihm vorbei weiter. Zumindest drang aus dieser Richtung durch einen weiteren senkrechten Spalt zwischen zwei Felsen Sonnenlicht zu uns.
Joaquíns Hand an meinem Arm hinderte mich am Weitergehen. »Ich würde dir ja jetzt eigentlich gern die Augen zuhalten …« Ich versteifte mich unwillkürlich. »… aber ich glaube, davon wärst du nicht so richtig begeistert.« Mit einem mehr als zittrigen Luftholen schüttelte ich den Kopf.
»Das habe ich mir gedacht.« Er nickte, dann ließ er mich los und trat mit einer weit ausholenden Geste beiseite. »Also nach dir, mi vida.«
Einen Moment rührte ich mich nicht, sah ihn fragend an. Wie zur Antwort hob er eine Braue, wiederholte seine Bewegung. Ich gab mir einen Ruck, den Blick noch immer irgendwie misstrauisch auf ihm, schob mich zwischen den Felsen hindurch und trat aus der Spalte. Dass er hinter mir war, machte mich … nervös. Ich konnte nichts dagegen tun.
Eine Sekunde lang blinzelte ich geblendet in das Gleißen, das mich auf der anderen Seite empfing. Doch als ich endlich wieder mehr erkennen konnte als schmerzhaftes Grellweiß, vergaß ich zu atmen. »Heiliger Himmel.«
Hinter mir hörte ich ihn glucksen und erinnerte mich selbst daran, dass ich ohne Luft nicht mehr lange aufrecht stehen würde. Ich tat einen tiefen Atemzug – selbst die Luft schien … anders zu schmecken.
»Das ist …« Mir fehlten die Worte. Also gestikulierte ich. Irgendwie hilflos.
Wieder dieses leise Glucksen. »Scheint so, als wäre mir die Überraschung gelungen.«
»Oh ja.« Das war gnadenlos untertrieben. Das hier war das Paradies inmitten der Hölle. Ich konnte den Blick einfach nicht von dem schmalen Cañon lösen, der vor uns lag.
Seine Seitenwände waren von Flechten oder anderen Kletter- und Hängepflanzen überrankt. Ein paar Felsterrassen, die ein Stück weiter wie eine natürliche Rampe sanft zum Boden hin abfielen, waren mit Gras und Büschen bewachsen. In der Mitte des Cañons, an seinem tiefsten Punkt, gurgelte ein flacher, kleiner Fluss in einem Bett aus Kies und mehr oder weniger großen Steinbrocken vor sich hin. Das Wasser schien selbst von hier aus glasklar zu sein. Zuweilen blitzte die Sonne grell auf seiner Oberfläche.
Auf unserer Seite wand ein schmaler Geröllpfad sich in langen Bögen als helles, ockerfarbenes Band zwischen dem Grün gemächlich seinem Grund zu. Nur ganz am oberen Rand, dort, wo die Wände nahezu senkrecht in den Himmel ragten, war nichts als nackter, fahlrötlicher Fels. Zerklüftet und rau. Der einzige Hinweis darauf, was auf ihrer anderen Seite lauerte: gleißende Hitze über einer erbarmungslosen Sierra.
»Es ist … wunderschön.«
»Sí.« Ein Zögern. »Und wirst du irgendjemandem hiervon erzählen?« Die Belustigung war aus seiner Stimme gewichen. Sie klang jetzt verwirrend sanft. Und ernst.
»Nein. Nein, nie …« Ich wollte mich gerade zu ihm umdrehen, als ich die Bewegung auf einer Felsterrasse gegenüber bemerkte. Abermals blieb mir die Luft weg. Da drüben tänzelte ein Pferd im Kreis; weiß mit braunen und schwarzen Flecken. Es schlug mit dem Kopf und wieherte zu uns herüber, bäumte sich halb auf. Alles an ihm wirkte … ungehalten und wild.
Hinter mir stieß Joaquín ein Schnauben aus. »Sieh an, sieh
an, wer da direkt klarstellen muss, wessen Revier das hier ist. – Er muss in der Nähe gewesen sein, sonst hätte er mich nicht so schnell gewittert.«
»Klarstellen?« Ich warf ihm einen hastigen Blick über die Schulter zu, sah wieder zu dem Pferd, das gerade erneut schnaubend auf der Stelle trat, den Kopf auf und ab warf und seine Mähne schüttelte, dass sie nur so flog, ehe es dann abrupt auf der Hinterhand kehrt machte und die Felsterrasse hinabdonnerte, tiefer in den Cañon hinein.
»Ich bin der Kerl, der versucht hat, ihm eine seiner Stuten zu stehlen. – Nachdem er sie zuvor von Jorges Weide gestohlen hat, wohlgemerkt.« Erst jetzt wurde mir bewusst, dass er nach wie vor halb im Schatten des Felsdurchgangs stand. Als ich mich umdrehte, ließ er gerade los, was er unter dem Hemd verborgen um den Hals trug. Eine Bewegung, die ich heute schon ziemlich
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