Blutbraut
wieder wie an jenem ersten Abend.
»Ich …« Ich zuckte zurück, als er den Kopf in die Höhe riss, die Fänge gegen mich fletschte. Hatte ihr Anblick mich vor Kurzem Schaudern lassen? Ein Witz. Das, was jetzt in seinem Mund war, war deutlich länger als jemals zuvor.
»Verstanden?«
Die Augen weit aufgerissen, nickte ich.
Nosferatu.
Farblos glitzernde Augen.
Entsetzlich schön. »Versprich es!«
Ich saß da wie gelähmt. Meine Lunge war von einer Sekunde zur nächsten ein harter Knoten, der sich weigerte, auch nur ein Quäntchen Luft einzusaugen. Seine Fingernägel waren schwarz. Noch immer Joaquín de Alvaro. Und doch … anders.
»VERSPRICH ES!«
Ich machte einen Satz, brachte erneut ein Nicken zustande, irgendwie.
Langsam kam er auf die Füße. Im ersten Moment noch taumelnd, dann gefährlich elegant. Mit jedem Schritt, den er weiter rückwärts machte. Von mir weg. Bis er am Rand der freien Fläche stehen blieb. Ohne die Augen von mir zu nehmen, neigte er den Kopf zur Seite. Schien zu lauschen. Die Art, wie er diesmal die Fänge fletschte, war böse. Dann machte er kehrt und ging zur Kirchentür. Vollkommen lautlos. Daneben verharrte er. Spähte hinaus, lauschte erneut. Ich presste sein Hemd an meine Brust, versuchte, irgendwie mit dem Zittern aufzuhören, zu atmen. Nosferatu! Ein kurzer Blick in meine Richtung, bevor er nach draußen verschwand. Ich saß da und starrte auf den Punkt, an dem er eben noch gestanden hatte, versuchte meinerseits, irgendetwas zu hören. – Nichts! Als sei ich mit einem Mal das einzige lebende Wesen hier draußen.
Irgendwann war jenseits der Kirchentür und der Mauern nichts anderes mehr als Schwärze. Nur die Flämmchen, die an den Holzspänen bei mir in den Kreisen hingen, sorgten für ein wenig Helligkeit. Die kaum über die Linien aus Weiß und Karminrot hinaus reichte. Von ihm keine Spur. Ein paar Mal hatte ich zwar geglaubt, eine flüchtige Bewegung dort draußen auszumachen, aber was es war, hätte ich beim besten Willen nicht sagen können. Oder ob ich es mir nur einbildete.
Es war erstaunlich schnell kühl geworden, nachdem die Sonne untergegangen war, und schließlich hatte ich sein Hemd übergestreift. Der Geruch nach Orange, Zimt und Nelken hing genauso in dem Stoff, wie er damals in seinem Jackett gehangen hatte, und inzwischen redete ich mir ein, dass ich es nur so eng um mich geschlungen hatte und immer wieder die Nase
in den Kragen drückte, weil mir kalt war, und nicht, weil sein Duft etwas Tröstliches hatte. Auch wenn da ein kleiner Teil in mir war, der sich darüber lustig machte. Mit jeder Minute, die verging, ein wenig hysterischer.
Meine Hände spielten unablässig mit den Riemen und Schnallen des Rucksacks. Ich zog die Beine weiter an den Leib. Und zuckte zusammen, als irgendetwas über mir durch die Dunkelheit flatterte, presste die Hand vor den Mund, um einen Schrei zu ersticken. Ein Nachtvogel! Ja, es musste ein Nachtvogel gewesen sein. Oder eine Fledermaus! Meine zweite Hand umklammerte eine Rucksackschnalle so fest, dass sich die Kanten in meine Haut drückten. Herr im Himmel, und ich hatte mich immer für besonders tough gehalten. Demnächst würde ich noch bei dem kleinsten Geräusch in Ohnmacht fallen. Ich zwang mich dazu, die Schnalle loszulassen, zumindest die Finger ein kleines Stück zu öffnen, wieder Atem zu holen. Ein leises Schaben hinter mir ließ mich herumfahren. Ich starrte die Spinne an, die auf mich zugelaufen kam. Dick und haarig. Wahrscheinlich so groß wie meine Handfläche. Direkt am Rand des Bannkreises verharrte sie abrupt. Buchstäblich bebend. Nur um dann daran entlangzuhuschen und auf der gegenüberliegenden Seite in der Dunkelheit zu verschwinden. Wenn Spinnen empört aussehen konnten, dann tat diese es auf jeden Fall. Vielleicht saß ich ja genau in ihrem nächtlichen Spazierweg. Das Kichern blubberte einfach in meiner Kehle empor. »›Geschöpfe der Nacht, ans Licht gebracht.‹ – Was auch immer du da draußen treibst, de Alvaro: Mach hin, denn wenn du mich noch viel länger allein lässt, bin ich bis morgen früh ein gackerndes Wrack.« Ich schüttelte über mich selbst den Kopf. »Reiß dich zusammen, Moreira. Normalerweise wirst du doch nicht so
leicht hysterisch.« Mal abgesehen davon, wenn mir einer von ihnen zu nahe kam.
Draußen erklang ein Heulen. Ich erstarrte. Mein Blick schoss zur Kirchentür.
Das Kreischen von Metall auf Metall.
Ein dumpfer Schlag. Lachen, hart und böse. Ich glaubte, die
Weitere Kostenlose Bücher