Blutbraut
Beine. Seine Schwingen peitschten, während er noch um sein Gleichgewicht rang. An einer hing Blut. Joaquín hatte ihn schon erneut zu Boden gerissen, ehe er sich endgültig wieder aufrichten konnte. Abermals gingen sie zwischen Schutt und Mauerstücken zu Boden. Rollten in die Dunkelheit. Knurrend. Fauchend. Dann brach das Fauchen mit einem würgenden Schrei ab. Eine schiere Ewigkeit lang rührte sich nichts.
Bis Joaquín sich schließlich aufrichtete, sich zu mir umdrehte. Einen Moment stand er nahezu regungslos. Ehe er langsam wieder aus der Finsternis heraus auf mich zukam. Blut an seinem Mund, über sein Kinn verschmiert. Er wischte es sich mit dem Handrücken weg, leckte ihn gemächlich ab. Ließ mich nicht aus den Augen.
»Es ist vorbei. Du kannst rauskommen.«
Ich schluckte mühsam. Die Angst wollte absolut nicht nachlassen. Im Gegenteil. Zögernd schüttelte ich den Kopf. »Du hast gesagt, ich soll erst bei Sonnenaufgang …«
Mit einem Zischen schnitt er mir das Wort ab. »Bah! Was
interessiert mich mein Geschwätz von vorhin. Ich sage, du sollst rauskommen. Jetzt.« Knapp vor dem Kreis war er stehen geblieben. Sah auf mich herab. Sein Blick …
Oh mein Gott. Ich schauderte, konnte mich nicht rühren. Selbst wenn ich gewollt hätte. Endlich schüttelte ich abermals den Kopf.
Er beugte sich so blitzschnell vor, dass ich die Bewegung kaum sah. Der Bannkreis flammte auf. Ich zuckte zurück.
»Komm da raus!«
Wieder schüttelte ich den Kopf. Ich brachte keinen Ton heraus.
Sein Blick wurde schmal. »Du willst also Katz und Maus spielen, wie? Meinetwegen.« Sehr langsam richtete er sich wieder auf, seine Augen ließen mich keine Sekunde los. »Der Bannkreis wird nicht ewig halten. Irgendwann wird seine Macht schwächer.«
Lüge! Er selbst hatte mir etwas anderes beigebracht. Solange ich ihn nicht von innen brach, kam er von außen nicht an mich heran. Erneut schüttelte ich den Kopf, umklammerte den Dolch fester.
»Nein?« Er lachte leise, begann, gemächlich um mich herumzugehen. Mein Magen krampfte sich zusammen. Wie diese Kreaturen zuvor. »Du wirst schon sehen.« Er streckte die Hand aus. Feuer loderte darunter auf, dort, wo er dem Kreis zu nahe kam. »Jedes Mal, wenn ich ihn berühre.« Mit dem Finger zog er eine brennende Linie auf dem Bannkreis ins Nichts. »Jedes Mal ein bisschen mehr.« Sein Mund verzog sich zu einem trägen Lächeln. »Und wenn er zusammenbricht, gehörst du mir.« Das Lächeln veränderte sich, wurde grausam. »Aber dann werde ich keine so gute Laune mehr haben. Je länger du mich warten
lässt, umso schlechter wird sie. Tu dir selbst einen Gefallen und komm da raus, Lucinda. Jetzt.«
Ich konnte nicht schlucken, nicht atmen. Ich konnte nur hilflos dabei zusehen, wie er so entsetzlich gelassen und schön um mich herumschritt.
»Immer noch nicht? Nein? – Komm schon! Sei ein liebes Mädchen. Ich werde auch sehr nett sein und dir nicht wehtun. Nicht viel zumindest. Ich verspreche es! Ein kleines bisschen vielleicht.« Er bewegte sich immer weiter um mich herum, betrachtete mich dabei wie einen Vogel im Käfig. »Ein wenig Spaß musst du mir schon zugestehen. Immerhin habe ich dich heute Abend ja schon vor César und seinen beiden Freunden draußen beschützt.« Die Zeichen flammten und knisterten auf dem Boden. »Komm da raus, Lucinda. Jetzt!«
Wieder schüttelte ich den Kopf. Meine Hände waren schweißnass. »Bis … die Sonne aufgeht. Du hast gesagt, ›bis die Sonne aufgeht‹. Danach … danach komme ich raus.« Ich hatte das Gefühl, an den Worten zu ersticken. Es war ein Wunder, dass ich sie überhaupt herausbrachte. »Nicht früher.«
»¡Puta!« Er warf sich so plötzlich nach vorne, dass ich aufschrie, fletschte die Fänge. Der Bannkreis loderte, fauchte. Er taumelte zurück. Und starrte mich plötzlich mit weit aufgerissenen Augen an. Im nächsten Moment sackte er direkt neben dem Kreis auf die Knie. Noch immer den Blick auf mir.
Ich wich zurück.
Seine Lippen bewegten sich, als formten sie lautlos Worte.
Wieder und wieder schüttelte er den Kopf.
Endlich verstand ich ihn. »Bleib, wo du bist! Rühr dich nicht! Der Kreis wird halten! Du bist sicher! Bleib, wo du bist!«
Jetzt starrte ich ihn an.
»Bleib, wo du bist, Lucinda! Bleib, wo du bist!« Er zog die Schultern in die Höhe, krümmte sich vornüber, schlang die Arme um seine Mitte, die Hände zu Fäusten geballt, schaukelte ruckhaft vor und zurück. Eine Haltung, die ich nur zu gut kannte. Sein Blick
Weitere Kostenlose Bücher