Blutbraut
tödliche Stille.
Als gäbe es hier draußen abermals niemanden außer mir. Ich versuchte die Angst hinunterzuwürgen, die meine Kehle zusammenschnürte.
»de Alvaro?« Keine Antwort. Bitte, lieber Gott, lass es diesmal wirklich vorbei sein!
Nichts rührte sich.
Der Mann stand neben dem Geländer zum Altarraum, als ich mich wieder umdrehte. Mittelgroß. Schlank. Dunkelblond. Farblose Augen. Nosferatu! Diesmal schrie ich. Laut und durchdringend. Um ein Haar wäre ich rückwärts von ihm weggekrochen.
Und hätte den Bannkreis gebrochen. Meine Hand bebte, als ich den Dolch hob. Meine Fingerknöchel waren weiß. Der Mann lächelte nur milde. Etwas Dunkles lag um seine Schultern. Das sich bewegte. Wie ein Mantel …
»Tststs.« Als sei ich ein ungezogenes Kind, das er schelten wollte. Gemächlich kam er auf mich zu. Das Dunkle öffnete sich, spreizte sich … Schwingen. Er hatte riesige schwarze Fledermausschwingen. Wie die, die Joaquín auf den Rücken tätowiert hatte. Mit Krallen an den Spitzen. Schimmernde, mörderische Krallen … Wie zuvor verweigerten meine Lungen den Dienst. »Hat er dich allein gelassen, Kleines? Wie dumm von Joaquín.«
»Glaubst du das wirklich? Tja, du warst ohne deine Brille schon immer so gut wie blind, César.« Er! Ich fuhr herum. Noch nie in meinem Leben war ich so froh gewesen, seine Stimme zu hören. Auch wenn sie nach wie vor nur ein dumpfes Knurren war.
Scheinbar vollkommen gelassen lehnte er an einer der Holzsäulen, die das Dach trugen. Die Arme vor der Brust verschränkt. Regelrecht … harmlos. Unschuldig.
Nur der Ausdruck in seinen Augen war mörderisch.
»Nette kleine Spielkameraden hast du mitgebracht. Nur nicht sehr effektiv. Mal abgesehen davon, dass der Wagen Schrott ist.«
»¡Buenas tardes, Joaquín!« César lächelte. »Ich wusste, du würdest sie amüsant finden.«
»Amüsant? Amüsant ist anders.« Er neigte den Kopf ein klein wenig zur Seite, änderte seine Haltung ansonsten aber nicht. »Wer steckt hinter dem hier, César? Du bist es nicht. Sonst wärst du allein gekommen.« Erst jetzt sah ich das Blut, das sein Gesicht auf der einen Seite zwischen Haaransatz und Kiefer
bedeckte. Und sich in feinen Linien seinen Weg über Hals und Brust abwärts suchte. An seinem Arm war noch mehr davon. Seine Hose hatte einen ausgefransten Riss quer über dem Oberschenkel.
»Komm mit und du wirst es sehen.« Die Schwingen öffneten sich noch ein wenig mehr. »Er hat befohlen, euch zu ihm zu bringen. Beide. Er erwartet euch sehnsüchtig.«
»Vergiss es! Sag mir einfach nur seinen Namen.«
Abermals ließ der Mann ein tadelndes Schnalzen hören. Dann sah er mich an. Und lächelte. Beim Anblick seiner Fänge wand ich mich innerlich. »Komm aus dem Kreis, Kleines! Es gibt da jemanden, der dich kennenlernen möchte. Mach es für euch beide leichter.« Sein Tonfall war schmeichelnd, lockend.
Ich umklammerte nur den Dolch fester und schob mich – wenn das überhaupt möglich war – noch ein bisschen weiter in die Mitte des Kreises.
Er machte einen Schritt auf mich zu. Noch einen. Streckte die Hand aus. Nur aus dem Augenwinkel sah ich die Bewegung, mit der er sich von der Holzsäule abstieß und ebenfalls herankam.
»Wer auch immer dein Auftraggeber ist: Sag ihm, sie gehört mir. Ich teile nicht.« Die Worte kamen rau und hart. Unüberhörbar eine Drohung.
César kicherte, seine Schwingen öffneten sich weiter, die Klauen an ihren Spitzen krümmten sich, als hätten sie einen eigenen Willen. »Aber er will euch doch beide.« Er zuckte die Schultern. »Und ich habe nicht vor, ihn zu enttäuschen.«
Ich sah nicht wirklich, was César tat. Nur, dass er die Hand auf seltsame Weise drehte. Er stieß ein Keuchen aus. Das zu einem Knurren wurde. Und stürzte sich auf ihn. Riss ihn mit sich
und zu Boden. Gemeinsam brachen sie durch ein Loch in dem Geländer, das das Kirchenschiff vom Altarraum trennte, verschwanden in der Dunkelheit. Von einer Sekunde zur nächsten waren sie nur noch Schatten, Schemen in Schwärze. Die Ahnung von Bewegung. Dunkles, böses Knurren. Fauchen. Wie von wilden Tieren, die einander umkreisten. Ich umklammerte den Dolch fester, strengte mich an, versuchte, mehr zu erkennen. Keuchen und das Klatschen von Schlägen. Blasses Feuer flackerte auf und verging wieder. Stein schlug krachend auf den Boden. Scharren. Wieder ein Keuchen. Ein Brüllen. Plötzlich war César erneut diesseits des Geländers. Stolperte, fiel auf die Knie, kam halb wieder auf die
Weitere Kostenlose Bücher