Blutbraut
›gestreut‹. Wie von einem Treffer mit einem Schrotgewehr. Aber die Löcher, die Schrot in irgendwelchen CSI- Folgen hinterließ, waren nie so groß. Und irgendwie … ausgefranst. Das musste ziemlich wehgetan haben. Waren da nicht auch ein paar lebenswichtige Organe in der Nähe? Ein kleines Stück höher waren zwei weitere Narben; klein, rund. Der rote Kratzer an seiner Schulter wirkte daneben harmlos. Obwohl es ein ziemlich tiefer roter Kratzer war und frisch. Von Annas Schere?
Sein Räuspern ließ mich zusammenschrecken.
»Ich benötige etwas von deinem Blut, Lucinda. Allerdings haben wir damit ein kleines Problem. Ich will, dass du den Dolch bei dir im Kreis behältst. Aber sonst haben wir nichts, um …«
Schuldbewusst waren meine Augen von seiner Brust zu seinem Gesicht emporgezuckt, doch jetzt schien etwas von einer Sekunde zur nächsten meine Lungen zusammenzudrücken. »Wofür?«
»Das Blut?«
»Ja.«
»Ich will zwei Kreise ziehen. Einen geschlossen mit deinem und einen geschlossen mit meinem Blut.«
Wenn ich mich richtig an das erinnerte, was er mir bei meinen Hexereistunden eingebläut hatte, würde ein mit meinem Blut geschlossener Bannkreis verhindern, dass auch er an mich herankam. Ging er davon aus, dass er im Laufe der Nacht zur Gefahr für mich werden würde? Oh mein Gott. Plötzlich zittrig rieb ich die Hand an der Hüfte. Ich musste einmal tief Luft holen, ehe ich zumindest halbwegs sicher war, dass meine Stimme mir gehorchen würde.
»Warum schließt du nicht einfach den inneren mit meinem …?« Natürlich! Auch das hatte er mir erklärt. Ich beantwortete meine Frage selbst. »Weil du sonst den äußeren überschreiben könntest, wenn er mit deinem Blut geschlossen wäre. Und ihn dann brechen, wenn du willst.« Sein Blut, sein Kreis. Selbst wenn er so magisch begabt gewesen wäre wie ein Stück Brot. »Und weil sich die Stärke der beiden Kreise aufaddiert. Der innere verstärkt den äußeren. Sofern er der ›mächtigere‹ ist.« Und ein Kreis, der mit seinem Blut geschlossen wurde, war vermutlich deutlich mächtiger als einer, der mit meinem geschlossen wurde.
»Genau.« Er klang wie jemand, der sehr zufrieden mit sich war. Oder mit mir?
Ich zögerte eine Sekunde, dann zog ich mein Messer ein wenig umständlich aus der Hosentasche, ließ es aufspringen. »Wie ist es damit?«
Er sah auf die Klinge, sah mich an, hob eine Braue. In seinem Mundwinkel zuckte es. »Wehrhaftes kleines Ding. Jetzt
wundert es mich nicht mehr, dass Rafael einen solchen Narren an dir gefressen hat, tigresa.«
Verblüfft blinzelte ich. »Hat er das?«
»Pero sí. Für Rafael gibt es zwei Arten von Frauen: die, mit denen er Spaß hat, und die, die er respektieren kann. Du gehörst zu Letzteren, soweit ich das mitbekommen habe.«
Ein wenig unbehaglich rutschte ich auf meiner Decke hin und her. Rafael? Mich respektieren? Oha. »Ich habe ihm ein Messer ins Bein gerammt«, gab ich zu bedenken.
»Eben.« In seinem Grinsen waren die Reißzähne unübersehbar.
Okaaay.
Ich unterdrückte das Schaudern, wandte den Blick ab.
»Wie viel von meinem Blut brauchst du?« Unsicher schaute ich von dem Springmesser zu meiner Hand. Er erwartete doch hoffentlich nicht von mir, dass ich ein kleines Blutbad anrichtete. Vor allem: Was würde passieren, wenn ich mich in seiner Gegenwart schnitt? Abschürfungen hatte er ja anscheinend ganz gut weggesteckt, aber dabei war auch nie wirklich Blut geflossen …
»Nicht viel. Es reicht, wenn ein bisschen was davon an der Spitze hängt, genug, um einen oder zwei Inch damit zu überbrücken. Ein kleiner Schnitt in die Fingerspitze. Mehr nicht. Aber das hat noch einen Moment Zeit. Lass mich den Kreis zuerst zu Ende schreiben. Ich brauche es erst, wenn ich ihn schließe.«
Er arbeitete schweigend und schnell. Nein, nicht schnell. Routiniert. Auch wenn ich eigentlich keine Vergleichsmöglichkeit hatte: Einmal mehr wurde ich das Gefühl nicht los, dass es in der Hermandad keinen gab, der ihm das Wasser reichen
konnte. Und wenn es doch welche gab, konnte man sie vermutlich an einer Hand abzählen.
Ich hockte auf meiner Decke und sah ihm schweigend zu. Das Springmesser nach wie vor in der Hand. Zwischen den Mauern der Kirche wurden die Schatten immer länger. Unaufhaltsam. Zuweilen blitzte der Stein in seinem Siegelring unter einem letzten verirrten Sonnenstrahl.
Schließlich nickte er mir zu. Die Zähne zusammengebissen setzte ich das Messer auf meine Fingerspitze, presste fest die
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