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Blutbraut

Blutbraut

Titel: Blutbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Raven
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sie es nicht tun. Keine Sorge also.« Ich zog die Schultern hoch. Er griff nach der Kreideschachtel,
ließ die Reste der weißen darin verschwinden, zögerte, zog dann das karminrote Stück hervor. Und zögerte erneut, starrte auf die Kreide, die Brauen zusammengezogen. Die Hand schon nach dem Seitenfach des Rucksacks ausgestreckt, um doch nach einem Pflaster zu suchen, hielt ich inne.
    »Was ist?«
    Die Linien auf seiner Stirn vertieften sich, als er zu mir blickte. »Ist das schwarz oder rot?«
    Verblüfft runzelte ich ebenfalls die Stirn. War das ein Scherz? »Rot. Aber das dunkle.«
    Er nickte und begann, den zweiten Kreis um mich zu schreiben. Ich sah ihm dabei zu. Manche Männer konnten Grün und Rot nicht unterscheiden. Gab es so etwas auch bei Rot und Schwarz? Ich hatte noch nie davon gehört – was allerdings nichts heißen musste. Komplett farbenblind konnte er wohl kaum sein, oder? Nein. Sonst wäre er nicht in der Lage gewesen zu malen. Und die Bilder in seinem ›Atelier‹ waren ein Spiel der Farben und Schattierungen gewesen. Aber was war mit dieser Farbscheußlichkeit auf der Staffelei …? – Nein. Das war absurd. Vielleicht hatte es ja irgendetwas mit dem Licht zu tun? Immerhin wurde es mit jeder Minute dunkler. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis die Sonne tatsächlich endgültig untergegangen war. Die Schatten zogen sich in den Ecken immer mehr zusammen, krochen unaufhaltsam auf uns zu.
    Das Kratzen der Kreide lenkte meinen Blick zurück auf den zweiten Kreis. Er schrieb ihn nicht nur in einer anderen Farbe, auch die Zeichen waren andere. Nur die wenigsten der Siegel deckten sich mit denen aus dem ersten. Die übrigen wirkten … düster. Bedrohlich. Ein paarmal glaubte ich, sie würden sich bewegen. Oder es würde sich ein Hauch von Rauch darüber
kräuseln. Beinah machten sie mir Angst. Doch noch viel mehr erschreckte mich, dass er unvermittelt zusammenzuckte und sich krümmte. Die Kreide zerbrach auf dem Zeichen, das er gerade geschrieben hatte. »Was …?« Dass er den Kopf hochriss und mich anfauchte, stoppte mich mitten in der Bewegung – kurz bevor ich den inneren Kreis brechen konnte.
    »Sonnenuntergang.« Seine Stimme war wieder nur ein Knurren. Als würde das alles sagen. Mehr schien er nicht hervorzubringen. Für mich war es genug. Abermals verkrampfte er sich. Er brauchte zwei Anläufe, bis er das Bruchstück der Kreide zu fassen bekam, so sehr zitterten seine Hände plötzlich. Ich starrte ihn an. Bedeutete das am Ende … der ›Schritt‹ vom Mensch zum Nosferatu war schmerzhaft? Wieder ein Krampf, begleitet von einem dumpfen Stöhnen. Nein, mehr als schmerzhaft! Die Kreide kratzte schneller über den Boden. Bewegte sich da tatsächlich etwas auf seinem Rücken, unter der Haut? Nein! Ich musste mich geirrt haben. Wieder zerbrach die Kreide. Er zischte, fluchte. Warf das kürzere Stück beiseite, machte mit dem anderen hastig weiter. Zeichen um Zeichen. Ich hockte da und konnte mich nicht rühren. Oder den Blick von ihm nehmen. Die Schwingenkrallen über seinen Schultern schienen sich unruhig zu öffnen und zu schließen. Schweiß rann an seiner Schläfe abwärts, am Hals, über die Brust. Wann hatte sich sein Pferdeschwanz gelöst? Die nächste Schmerzwelle entlockte ihm etwas wie ein würgendes Husten. Das letzte Zeichen. Er ließ die Kreide einfach fallen. Sie rollte davon, stieß gegen einen Mauerbrocken. Auf den Knien rutschte er zu dem Stein hinüber, auf dem er mein Springmesser abgelegt hatte. Noch viel vorsichtiger als zuvor griff er danach, balancierte es zum Kreis zurück, eine Hand zitternd darunter. Mein Blut perlte die Klinge
träge abwärts, als er sie dann senkte. Irgendetwas hatte offenbar verhindert, dass es geronnen war. Mit der Spitze schloss er den Bogen vom letzten zum ersten Zeichen. Blutrote Flammen peitschten in die Höhe. Der Rauch kräuselte sich dichter. Ein neuerlicher Krampf ließ ihn sich vornüberkrümmen. Er presste die Fäuste auf den Boden, mein Messer noch immer in der Linken. Wieder jener harte, bellende Laut. Diesmal sah ich die Bewegung auf seinem Rücken ganz genau. Ich schnappte nach Luft. Seine Atemzüge kamen ähnlich abgehackt, keuchend. Bis sie sich nach einem letzten, tiefen beruhigten.
    »Du bleibst da drin! Egal was heute Nacht passiert! Egal was ich sage! Du bleibst da drin, bis die Sonne aufgegangen ist. Erst dann brichst du die Kreise! Erst dann! Verstanden?« Er richtete sich nicht auf, sah mich nicht an. Seine Stimme klang

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