Blutbraut
viel zu laut, während ich zur Tür der Kirche ging. In ihrem Schatten blieb ich stehen und spähte nach draußen; presste die Hand vor den Mund, bei dem Anblick, der sich mir
bot. Beinah hätten meine Knie nachgegeben. Der Wagen stand noch an derselben Stelle wie gestern Abend. Allerdings sah er jetzt so aus, als hätte jemand eine riesige Axt genommen und versucht, ihn der Länge nach in zwei Teile zu spalten. Die Motorhaube war wie von riesigen Klauen quer aufgeschlitzt. Genauso wie die Seite. Die Scheiben waren zertrümmert.
»Joaquín?« Irgendwie wagte ich es nicht, seinen Namen mehr als halblaut zu rufen. Wie in der Nacht bekam ich keine Antwort. Ich schlang die Arme um mich.
An einigen Stellen war der Boden schwarz. So als wäre Feuer in einer schnurgeraden Linie über ihn hinweggestrichen. Sehr heißes Feuer. Heiß genug, um einen Teil des Sandes zu Glas zu schmelzen. Oder was sollten die glänzenden Klumpen sonst sein?
Das alte Haus der de Alvaros hatte ein Loch in der Mauer, als hätte jemand eine zweite Eingangstür hineinbrechen wollen. Darunter lagen die Bruchstücke der Wand. Außen.
Über der Sierra begann die Luft schon wieder zu flimmern.
Zögernd ging ich die Stufen hinunter. Um ein Haar wäre ich gestürzt, als eine davon unter meinem Gewicht regelrecht zu Staub zerfiel. In letzter Sekunde fand ich mein Gleichgewicht wieder, rettete mich mit einem großen Schritt zur nächsten. Mein Herzschlag beruhigte sich nur langsam wieder ein kleines Stück weit.
Von einem Haus links von mir hatte gestern Abend auch noch eine Mauer mehr gestanden. Etwas lag davor … Ich blieb jäh stehen. Ein Skelett. Da lag ein menschliches Skelett. Nur noch nackte, graue Knochen. Die aussahen, als hätte Feuer das Fleisch von ihnen weggebrannt. Darüber kräuselte sich in den Sonnenstrahlen fahler Rauch. Als würde es immer noch vor
sich hin schwelen. Ich zuckte zurück, als die Rippen auf einer Seite in sich zusammenfielen. Übertrieben tief holte ich Atem. War es das, was mit toten Nosferatu geschah, wenn sie der Sonne ausgesetzt waren? Der nächste Gedanke ließ mich die Luft anhalten. Was geschah mit einem Hexer, der kurz davorstand, endgültig Nosferatu zu werden?
»Joaquín?!« Hastig überwand ich die letzten Stufen. Was waren das für seltsam dunkle Flecken auf dem Boden? Egal! »Joaquín? « Meine Stimme kippte fast. Ein paar Schritte von der Treppe entfernt blieb ich wieder stehen. Drehte mich einmal um mich selbst. Knapp neben dem Brunnen lag ein weiteres schwelendes Skelett. Schaudernd riss ich den Blick davon los, sah mich weiter um. Nichts. Keine Spur von Joaquín de Alvaro. Ich spürte Panik in mir aufsteigen. Die nicht wirklich viel damit zu tun hatte, dass ich mutterseelenallein hier draußen war, falls ihm tatsächlich etwas zugestoßen sein sollte. Wer sagte mir eigentlich, dass er keines dieser Skelette war? Nein! So weit war er noch nicht gewesen. Ich schüttelte den Kopf. Brachte die gehässige kleine Stimme darin zum Schweigen. Er war hier irgendwo. Vermutlich hatte er einfach nur Zuflucht vor der Sonne gesucht. Immerhin hatte er ja diese beiden Nachtkristalle eigenhändig zerstört.
Ich presste die Handflächen gegeneinander. Meine Hände zitterten. Wohin war er gegangen? Abermals blickte ich mich um. Was auch immer das halbe Kirchendach zum Einsturz gebracht hatte, hatte sich direkt an ihrer Mauer abgespielt. Rechts von mir.
Ich hatte nicht vorgehabt zu rennen, trotzdem tat ich es.
Die Risse und der abgefallene Putz im Inneren waren nichts im Vergleich zu dem Bild, das sich mir hier draußen bot. Vermutlich
war es ein Wunder, dass letzte Nacht nicht die ganze Kirche in sich zusammengefallen war.
Nur ein paar Meter entfernt, direkt gegenüber, lehnte – nein, stand! – am Stamm eines Joshua Tree ein weiteres Skelett. Oh mein Gott. Selbst jetzt schien es noch die entsetzlichen Nosferatu-Fänge gegen mich zu fletschen. Ich musste zweimal hinsehen, bis ich es glaubte: Was durch seine Kehle – oder das, was davon übrig war – und die Knochen dahinter in den Baumstamm getrieben war, war tatsächlich mein Springmesser. Mir war noch nicht einmal klar gewesen, dass Joaquín es eingesteckt hatte.
Mit einem Ruck wandte ich mich erneut der Mauer zu. Ungefähr in Hüfthöhe war ein rot getrockneter Handabdruck. Als habe sich jemand dort abgestützt. Während er sich vom Boden hochdrückte. An der Wand darunter waren ebenfalls blutige Schmieren. Auch die Erde am Fuß der Mauer war rot. Sehr rot.
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