Blutbraut
Schlagartig war mir eiskalt. Wo zum Teufel war er? Meine Hände zitterten immer mehr. Er hatte ›die Kurve‹ gekriegt. Wahrscheinlich tatsächlich nur in allerletzter Sekunde, aber er hatte sie gekriegt. Punkt! Mit dem Rest würde ich mich auseinandersetzen, wenn es so weit war.
Es war ein zweiter roter Handabdruck ein Stück weiter die Mauer entlang, der mir letztlich den Weg wies: zurück zur Vorderseite der Kirche. Allerdings auch nicht weiter. Das Blut rauschte in meinen Ohren.
Einen Moment lang stand ich einfach nur da. Unfähig, mich zu rühren … Dann machte ich mich hastig daran, den Platz nach weiteren Blutspuren abzusuchen.
Als ich hinter dem Wagen war, blieb ich abermals abrupt stehen. Die Heckklappe fehlte. Sie lag ein Stück weiter am Boden.
Wie achtlos beiseitegeworfen. Das Zittern breitete sich auch in meinem Innern aus.
Ich fand weitere Spuren am Brunnen, folgte ihnen – zum alten de-Alvaro-Haus. Mein Herz klopfte wie verrückt. Zögernd schob ich mich durch die Eingangstür – im Gegensatz zu gestern hing der Türsturz ein gutes Stück schiefer – und fragte mich die ganze Zeit, warum er eigentlich nicht zu mir zurück in die Kirche gekommen war.
Der vordere Raum war leer. Dafür war der rote Streifen neben dem Durchgang, der in den hinteren führte, nicht zu übersehen. Drei Wände standen noch, die vierte fehlte, sah man einmal von einem knapp kniehohen Mauerrest ab. Wo sie hätte sein sollen, erstreckte sich die flimmernde Sierra scheinbar endlos bis zu irgendwelchen Bergen. Nur ein paar Hundert Meter weiter hatte der Boden sich bereits wieder in einen in der Sonne spiegelnden See verwandelt.
Joaquín kauerte in der östlichen Ecke. Im Schatten. Die Beine ausgestreckt, Gesicht und Oberkörper zur Mauer hingedreht, den Kopf gegen die Wand gelehnt. Auf den ersten Blick wirkte seine Haltung beinah entspannt. Als hätte er sich einfach entschlossen, hier den Rest der Nacht zu verbringen. Wäre irgendwann eingeschlafen. Und nur noch nicht wieder aufgewacht. Auf den zweiten Blick war das Blut nicht zu übersehen. Die eine Hälfte seines Gesichts über den Hals bis auf die Brust hinunter … verschmiert. Mit Blut. Überall. Mein Magen hing in meiner Kehle.
»Joaquín?« Nur zögernd wagte ich mich weiter heran. Bitte, lieber Gott, mach, dass er nicht tot ist! – Aber wenn er tot ist, sind alle meine Probleme auf einen Schlag gelöst …
Das Blut auf der anderen Seite seines Oberkörpers entdeckte
ich, als ich vor ihm in die Knie ging. Seine Jeans waren an dieser Seite rot. Ebenso der Boden unter ihm. Von hinten quer über die Rippen und halb in den Bauch hinein … fünf klaffende Furchen: Krallenspuren. Übergangslos war mir schlecht.
»Joaquín?« Ich beugte mich näher zu ihm. Seine Hand schoss in dem Moment vor, als ich meine nach seiner Kehle ausstreckte, um zumindest nach einem Puls zu tasten, legte sich wie ein Schraubstock um mein Handgelenk. Ich schrie. Fast hätte ich vor Schreck das Gleichgewicht verloren. Sie war eiskalt. Blut hing an ihr. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Galle war in meinem Mund. Nein! NeinNeinNein … Die Zähne zusammengebissen versuchte ich mich frei zu machen. Erfolglos. Sein Kopf rollte herum, zu mir. Für eine Sekunde glaubte ich, seine Lider würden flattern, sich heben, aber seine Augen blieben geschlossen. Nur allmählich setzte mein Verstand wieder ein. Hilfe! Er brauchte Hilfe. Ich … ich …
»Ich hole Hilfe. Bleib hier!« Bleib hier? Oh, ja, klar. Er war ja auch in der Verfassung, irgendwo hinzugehen. » Hast du gehört? Ich hole Hilfe!« Seine Lippen bewegten sich, murmelten etwas, das ich nicht verstand. War das ein No gewesen? Zumindest seine Hand hatte sich fester um mein Gelenk geschlossen. Ich zog, versuchte mich abermals aus seinem Griff frei zu winden. Er kippte ein kleines Stück zur Seite. Diesmal verlor ich das Gleichgewicht, landete hart auf dem Hintern, mein Handgelenk noch immer in seiner Hand. Ich keuchte auf, als ich den Rauch sah, der von seiner Haut aufstieg. Dort, wo die Sonne sie berührte. Oh mein Gott! So schnell ich konnte, krabbelte ich wieder auf die Knie, schob ihn in den Schatten zurück. Er sackte einfach wieder in die Ecke. Der Rauch verschwand. Eine dünne Schicht Asche blieb auf seiner Hand
und dem Arm zurück. Ich wagte es nicht, sie wegzuwischen, aus Angst, was ich darunter sehen würde. Stattdessen bog ich seine Finger diesmal mit Gewalt auf, auch wenn er mich nach wie vor offenbar noch immer absolut nicht
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