Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutbraut

Blutbraut

Titel: Blutbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Raven
Vom Netzwerk:
loslassen wollte, zog mir sein Hemd aus und deckte es über ihn. Nicht genug. Hastig streifte ich auch noch das Hemd ab, das er mir gestern geliehen hatte, und breitete es ihm über Gesicht und Hals. Der Stoff war zu dünn! Hilfe, bittebitte … Die Sonne würde seine Haut durch ihn hindurch erreichen. Erst als es wehtat, merkte ich, dass ich mir auf den Fingerknöchel biss. Mein Herz raste. Wenn ich ihn zum Auto schaffen könnte … Nein, zu schwer. Er war garantiert zu schwer für mich. Wenn überhaupt würde … Ich würde ihn hinter mir herziehen müssen. Quer durch die Sonne? Nein. Zu weit. Viel zu weit. Außerdem … der Wagen war so verbeult und zerdellt … Die Sonne würde an mindestens einem Dutzend Stellen ungehindert in den Innenraum dringen. Scheiben gab es auch keine mehr. Noch nicht einmal der Kofferraum würde ihm Schutz … Die Decke!
    Wie eine Besessene rannte ich zur Kirche zurück, stolperte die Treppe hinauf, klaubte die Decke vom Boden auf und stürmte zu Joaquín zurück. Wie oft ich stolperte und mich gerade noch mit den Händen abfangen konnte, ehe ich der Länge nach hinschlug, zählte ich nicht.
    Als ich mich schließlich wieder neben ihn kniete, hatte er sich noch immer nicht gerührt. Vorsichtig hob ich das Hemd über seinem Oberkörper ein kleines Stück an, spähte darunter, versuchte zu erkennen, ob die Wunden noch bluteten. Ein bisschen Blut schien noch immer aus den Kratzern zu sickern. Ich konnte nicht einfach hier sitzen und abwarten, was geschah. Cris würde nicht nach uns suchen. Er hatte es selbst gesagt.
Und wer sonst wusste, dass wir nicht auf Santa Reyada waren? Niemand. Behutsam breitete ich die Decke über ihn, versuchte, mit einem Riss in der Mauer und Steinbrocken ein behelfsmäßiges Zelt über ihn zu bauen. Ich würde Hilfe holen. Querfeldein war vermutlich kürzer. Und was, wenn ich die Orientierung verlor? Ich musste der Schotterpiste folgen, die wir gestern auf unserem Weg hierher genommen hatten. Die Wasserflasche würde ich noch aus der Kirche holen. Und vielleicht konnte ich ein bisschen Zeit gewinnen, wenn ich die ersten Meilen locker lief. Es war noch früh. In Boston war ich manchmal morgens um diese Zeit gelaufen.
    Ich sah zu Joaquín. Unter der Decke rührte sich nichts. »Ich beeile mich. Versprochen!« Ich hatte keine Ahnung, ob er mich hörte. Entschlossen stand ich auf und ging los. Meine Hände zitterten noch immer. Wie der Rest von mir. Für den Moment würde die Decke reichen. Ob das auch noch so war, wenn die Sonne den Zenit erreichte und es nirgendwo mehr Schatten gab, wusste ich nicht. Ich würde mich einfach beeilen. Mir war noch immer schlecht.
     
    Es war ein Fehler gewesen. Meine Haut war inzwischen schon mehr als gerötet. Ich hatte die Sierra unterschätzt. Dass ich die Hitze nicht spürte, bedeutete nicht, dass sie nicht da war. Dummes Stadtkind. Und dann hatte ich die Schotterpiste, der Joaquín scheinbar ganz einfach gefolgt war, irgendwann nicht mehr gesehen. Ich hatte versucht, in meinen eigenen Spuren wieder zurückzugehen – und sie auf dem gerölligen Boden nicht mehr gefunden. Und jetzt hatte ich keine Ahnung mehr, wo ich war, geschweige denn, in welche Richtung ich gehen musste. Dummes, dummes Stadtkind. Die Wasserflasche war
schon eine ganze Weile leer. Meine Zunge fühlte sich pelzig an. Ein paarmal war ich schon gestolpert oder in die Knie gegangen, und hatte dann minutenlang einfach nur dagesessen. Aber bisher war ich immer wieder aufgestanden und war weitergetaumelt. Mir war schwindlig und mein Kopf pochte. Ein Stein drückte sich in mein Bein. Alles um mich herum flimmerte. Wenn ich noch ein paar Minuten länger hier sitzen blieb, würde es vielleicht wieder vergehen. Bestimmt. Ein paar Minuten waren nicht schlimm …
    Ich hockte noch immer da, als ein riesiger, dröhnender Schatten über mich fiel, Erde und Staub um mich herum aufgepeitscht wurden und plötzlich nur noch Dunkelheit um mich war.

27
    E s war kühl und dämmrig. Meine Haut brannte, als stünde sie in Flammen. Lavendelduft strich über mich hinweg.
    Ich fuhr senkrecht in die Höhe. Meine Augen waren verklebt und tränten, als ich blinzelte, aber nach einem Moment konnte ich klar genug sehen, um zu erkennen, wo ich war: in meinem Zimmer auf Santa Reyada.
    Nur dass ich keine Ahnung hatte, wie ich hierhergekommen war. In meinem Kopf saß ein vages Schwindelgefühl. Wahrscheinlich hätte ich mich nicht ganz so abrupt aufsetzen sollen. An meinen Armen und Beinen

Weitere Kostenlose Bücher