Blutbraut
gehen. – Im Moment schläft er.«
Murmeln.
»Ganz genau. Ihr werdet eure helle Freude mit ihm haben. – Er möchte übrigens, dass ich heute nach Sonnenuntergang wieder hierherkomme. Und dass ich Soledad mitbringe.«
Warum war mein Daumenknöchel schon wieder zwischen meinen Zähnen?
»Warum?«
»Abgesehen davon, dass er uns für einen Kreis braucht, hat dein Bruder mir nicht gesagt, was genau er vorhat.«
»Und wenn er …« Stocken, Zögern. »Sie ist eine Sanguaíera …« Blut. Tante María bettelte. Schrie. Er lachte, schlug seine Zähne in ihren Hals. Entsetzlich lange Zähne. Er kam zu mir. Seine Zähne. Er würde seine Zähne in meinen Hals schlagen. Wie der andere. Ich bekam keine Luft, presste die Hand vor den Mund, damit es niemand hörte. Damit er es nicht hörte.
»Du hast ja eine schöne Meinung von deinem Bruder. Soledad gehört zu mir. Joaquín weiß das sehr gut. Und er wird diesen Umstand respektieren. Daran habe ich keinerlei Zweifel. – Und noch was: Die hier habe ich bei ihm gefunden.« Ein leises Klappern. Wie von Tabletten in einem Glasfläschchen. »Wie lange schluckt er das Zeug schon, um seine Gier nach Lucindas Blut zu dämpfen?« Atmen! Atmen!
Rafael sog zischend die Luft ein. »Alprazolam? – Nur um in ihrer Nähe sein zu können, vergiftet er sich langsam selbst?«
Was?
»Anscheinend. Ihr wisst also nicht, wie lange er es schon nimmt? Und in welcher Dosis?« Stille. Ich glaubte, sowohl Rafael als auch Cris im Geist die Köpfe schütteln zu sehen. Wieder jenes Klappern. Gab Rafael Fernán gerade das Fläschchen zurück? Atmen! Ich musste atmen.
»Und wenn wir es ihm einfach wegnehmen?« Cris.
»Abgesehen davon, dass ich nicht glaube, dass das die einzige Packung ist, die er davon im Haus hat …« Fernán stieß ein freudloses Lachen aus. Schritte erklangen. »Wenn er es tatsächlich schon so lange nimmt, wie ich vermute, möchtest du deinen Bruder aktuell nicht auf Entzug von diesem Zeug erleben. Und ich wage zu bezweifeln, dass er bereit ist, es kontrolliert auszuschleichen. Zumindest nicht, solange Lucinda hier ist.« Seine Stimme war leiser geworden, entfernte sich anscheinend. Meine Zähne gruben sich fester in meinen Daumen, es tat weh. Ich konnte nicht aufhören.
»Das heißt, wir können nur dabei zusehen, wie er sich auf diese Weise Zeit mit ihr erkauft?« Rafael. Hart und bitter. Auch seine Stimme war leiser geworden, klang weiter weg.
»Ich fürchte, ja.« Das Seufzen war in Fernáns Worten nicht zu überhören. Schritte auf der Treppe. »Ihr wisst, wo ihr mich erreichen könnt. Allerdings glaube ich nicht, dass ihr meine Dienste im Moment noch einmal brauchen werdet. – Wir sehen uns heute Abend.«
Rafaels und Cris’ Antwort klang nur noch als Murmeln bis zu mir. Erst jetzt schaffte ich es, mich aus meiner Erstarrung zu lösen, spähte vorsichtig um die Ecke – der Korridor war leer! – und tappte schließlich zu Joaquíns Zimmer. Warum konnte ich noch immer nicht richtig Luft holen? Warum benahm ich
mich, als hätte ich Angst, bei etwas Verbotenem erwischt zu werden? Er hatte mir nichts getan. Da war überall Blut gewesen.
Vor der Tür zögerte ich, warf noch einmal einen Blick den Korridor hinunter, bevor ich sie öffnete und mich in den Raum dahinter schob. Ohne anzuklopfen. So leise ich konnte, drückte ich sie wieder zu. Und blieb direkt hinter ihr wieder stehen. Wie von selbst schlangen meine Arme sich um meine Mitte. Sosehr ich auch versuchte, es niederzukämpfen: Ein Zittern hatte sich von einem Augenblick zum anderen in meinem Magen festgesetzt und stieg jetzt langsam, aber unaufhaltsam meine Kehle empor.
Das Zimmer war dunkel. Nicht nur die Läden waren geschlossen, dichte, schwere Vorhänge waren außerdem vor die Fenster gezogen. Und die Glastür. Auf welchen Balkon oder Terrasse ging sie hinaus? Unsicher runzelte ich die Stirn. Legte die Arme fester um mich. Ich konnte diesen Raum plötzlich einfach nicht mehr im Haus verorten. Als hätte ich von einem Moment zum nächsten jeglichen Orientierungssinn verloren …
Die Wange zwischen die Zähne gezogen, tappte ich vorsichtig weiter hinein. Da war ein Schreibtisch aus Glas und Stahl in der Nähe der Tür. Auf der Seite gegenüber der Fenster zwei Türen. Licht fiel durch einen schmalen Spalt. Ich erhaschte einen Blick auf Fliesen. In der Ecke daneben … baumelte ein Sandsack von der Decke. Verwirrt runzelte ich die Stirn ein bisschen mehr, ging weiter. Das Zittern hatte meine Arme und
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