Blutbraut
Über seinen Schultern ragte links und rechts eine Schwingenkralle nach vorne, reichte bis auf seine Schlüsselbeine. Auf seiner Brust hing ein schwarzes Kreuz. Daneben ein ebenfalls schwarzer, schmaler, länglicher Kristall. Und plötzlich war mir klar, warum ich die Schwingen auf seinem Rücken ganz hatte sehen können … Im gleichen Moment ließ er das Handtuch vor sich sinken und machte einen Schritt aufs Haus zu – die Augen noch immer zu mir gehoben. Ich stolperte hastig von der Balustrade weg, drehte mich um und in das Zimmer zurück. Die Glastür klirrte gefährlich, als ich sie hinter mir zuschlug und mit zitternden Händen verriegelte. Beinah hätte ich mich im Vorhang verfangen. Hatte er gerade meinen Namen gerufen?
»Sie hätten dich niemals finden sollen, mi corazón.«
Mein Herz schlug wie wahnsinnig. Ich wich von der Tür zurück, bis ich den Bettrand in den Kniekehlen hatte. Jeder Atemzug war ein Pfeifen. Was würde ihn daran hindern, einfach das Glas einzuschlagen? Nichts. – Eine Waffe! Ich brauchte eine Waffe! Irgendetwas! Der Lavendelduft war plötzlich wieder da. Mein Blick huschte durch den Raum, blieb an einer Glaskaraffe
auf dem Nachttisch hängen. Zitronenscheiben schwammen auf der leicht trüben Flüssigkeit, die eigentlich nur Limonade sein konnte. Ich goss sie auf den Teppich, schmetterte das Gefäß gegen die Wand. Der Vorhang peitschte auf, obwohl die Glastür fest geschlossen war. Hexerei! Ich packte die größte der Scherben, brachte das Bett zwischen mich und die Terrassentür, meine erbärmliche Waffe in den eiskalten Fingern … und wartete. Die Zeit schien stillzustehen … Ich stieß einen Schrei aus, als es irgendwann unvermittelt an die Zimmertür klopfte.
»Wir müssen miteinander reden, Lucinda.« Seine Stimme war nicht mehr das raue Knurren von letzter Nacht, sondern ein weicher Bariton. Schmeichelnd. Verführerisch. Mit einem Hauch von Akzent.
Ich drückte mich mit dem Rücken gegen die Wand neben dem Bett, streckte die Scherbe vor mich. »Verschwinde!«
»Bitte, Lucinda, mir ist bewusst, dass unser erstes Zusammentreffen alles andere als … als glücklich war …« Alles andere als ›glücklich‹? Sollte das ein Witz sein? »Mein Benehmen war unverzeihlich.« Unverzeihlich? Aber ansonsten war noch alles gesund? Lieber Gott, er war mir an die Kehle gegangen. »Ich war … Dich so plötzlich hier zu haben … Ich habe die Kontrolle verloren. Ich entschuldige mich dafür.« Glaubte er tatsächlich, dass ich ihm dieses Gesäusel abkaufte? Für wie dumm hielt er mich? »Nur reden, Lucinda. Ich werde dir nichts tun.« Die Klinke der Zimmertür bewegte sich. »Ich verspreche es. Mach die Tür auf.« Das konnte nicht sein Ernst sein.
»Niemals! Geh weg!« Obwohl er es nicht sehen konnte, schüttelte ich heftig den Kopf.
»Gib mir eine Chance, Lucinda. Ich will nur mit dir reden.« Abermals senkte sich die Klinke. Nachdrücklicher diesmal.
»Mach auf. Ich komme dir nicht zu nah. Mein Ehrenwort darauf. Aber ich will dir nicht durch die Tür sagen, was ich zu sagen habe.«
»Nein! Geh weg!« Die Glasscherbe zitterte immer stärker in meinen Händen. Was würde eigentlich passieren, wenn ich mich daran schnitt? Jeder Atemzug fiel mir schwerer als der vorherige. »Lass mich zufrieden! Hau ab!«
»¡Maldita sea!, Luz, das ist kindisch. Mach die verdammte Tür auf!« Das Schmeichelnde war aus seinem Ton gewichen. Ein harter Schlag gegen das Holz.
»Nein! Verpiss dich endlich, du Scheißkerl!« Meine eigene Stimme klang viel zu schrill.
Stille!
Meine Kehle war zugeschnürt. Was trieb er da draußen? Suchte er etwas, womit er die Tür aufbrechen konnte? Warum tat er es nicht einfach mit Magie? Immerhin war er ja einer von ihnen.
»Also gut.« Ich zuckte zusammen, als er unvermittelt wieder sprach. »Dann machen wir es eben auf deine Art. – Ich muss in etwa einer halben Stunde zu einem Termin, den ich leider weder absagen noch verschieben kann. So lange warte ich im Wohnzimmer auf dich. Wenn du in der Halle mit dem Rücken zur Treppe stehst, ist es der Durchgang auf der linken Seite. Ich lasse die Tür offen. – Ich will nur mit dir reden.« Glaubte er ernsthaft, mich mit dieser Harmlos-Nummer zum Narren halten zu können? »Kommst du?«
»Vergiss es!« Für wie blöd hielt er mich eigentlich? »Du kannst meinetwegen warten, bis du schwarz bist.«
»Du kannst nicht ewig da drin bleiben.«
Dummerweise hatte er damit recht. »Verzieh dich endlich!«
»Ich warte die
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