Blutbraut
gewartet, dass er schon …? Nein! Nein, ich wollte es nicht wissen. Er musste komplett wahnsinnig sein. Ich wollte nur eins: weg hier! Sofort! Jede Sekunde, die ich länger hier war, war eine Sekunde zu viel.
Entschieden stieß ich mich von der Wand ab, schnappte mir wahllos eines der helleren Shirts und tauschte es rasch gegen mein Spitzenoberteil und das blutfleckige Spaghettiträger-Top, während ich schon aus dem Kleiderschrank flüchtete. Ich musste hier weg!
Den Stuhl bereits halb unter der Türklinke hervorgezogen, hielt ich inne, warf einen hastigen Blick auf meine Uhr. Die halbe Stunde war noch nicht um. Irgendwie hilflos sah ich zu der Glastür auf die Terrasse hinaus. Solange er noch im Haus war, konnte ich eine Flucht nicht riskieren. Weder auf dem einen noch auf dem anderen Weg. Ich schob den Stuhl an seinen Platz zurück und trat zurück, schlang die Arme um mich. Als ein Zittern in mir aufstieg, kämpfte ich es nieder. Ich hatte nur noch diese eine Chance. Ich würde sie nicht aufs Spiel setzen. Nicht, weil ich plötzlich in Panik ausbrach und glaubte, es keine Sekunde länger aushalten zu können. Die nächste Stadt zu erreichen, war vermutlich schwer genug. Denn ganz abgesehen davon, dass ich keine Ahnung hatte, wo genau ich war, stand wahrscheinlich jeder im Umkreis von Meilen in irgendeiner Form in seinen Diensten. Wenn darunter mehr Typen wie Rafael waren, gingen meine Chancen, von hier wegzukommen ohnehin ziemlich gegen null. Ich umfasste meine Ellbogen fester.
Hoffentlich wohnte der nicht auch auf Santa Reyada. Oder war zumindest mit ihm zu diesem Termin gefahren und schlich nicht gerade irgendwo auf dem Gelände herum. Irgendwie nun doch zittrig ging ich zum Bett hinüber und setzte mich steif auf die Kante. Eigentlich war Flucht wirklich der blanke Wahnsinn. Aber eine andere Wahl hatte ich nicht.
Ich wartete. Starrte vor mich hin. Sah immer wieder auf die Uhr. Erwischte mich dabei, wie ich an meinem Fingerknöchel nagte; wie meine Gedanken immer wieder zu Cris wanderten; ich mich fragte, ob ich ihn vielleicht doch um Hilfe bitten konnte – und den Gedanken jedes Mal wieder verwarf.
Einmal glaubte ich Stimmen zu hören. Dann einen Automotor. Jedoch viel zu schwach, als dass ich mir hätte sicher sein können. Dieses Haus war einfach zu groß. Und ich kannte seine Geräusche nicht. Also blieb ich auf dem Bettrand sitzen und wartete weiter, bis die halbe Stunde um war. Und noch fünf Minuten länger.
Erst dann hob ich meine Tasche auf, ging zur Tür und öffnete sie. Nur um eine weitere geschlagene Minute im Rahmen zu stehen und in den dämmrigen Korridor davor zu lauschen. Nichts als Stille. Und dieser scheinbar allgegenwärtige Lavendelduft.
4
W ie geht es deinem Bein?«
Das Handy zwischen Schulter und Ohr geklemmt, schob Joaquín die beiden Berichte und die Fotos in die Mappe zurück. Drei weitere Tote. Den Bildern nach zu urteilen, hatten die Nosferatu ein Schlachtfest veranstaltet. Zum zweiten Mal binnen zwei Wochen. Gerüchten zufolge war César einer von denen, die in L. A. ihr Unwesen trieben. Er konnte es noch immer kaum glauben. Der gutmütige César, der ohne seine Brille nahezu blind gewesen war, eines dieser Monster, die sich an den Qualen ihrer Opfer weideten. – Und das Entsetzliche war, er konnte mit jeder Nacht diese … Gier, diese … Lust, Schmerz zu bereiten, mehr nachvollziehen. Nein! Mit einem tiefen Atemzug schob er den Gedanken beiseite. Egal was geschah: Er würde nicht Nosferatu werden. Niemals!
Sie war nicht aus ihrem Zimmer gekommen. Hatte er wirklich damit gerechnet? Eigentlich nicht. Aber wie sagte man doch: ›Die Hoffnung stirbt zuletzt.‹ Nun, vielleicht sollte er sich allmählich mit dem Gedanken anfreunden, seine endgültig zu begraben.
Während er auf Luz wartete, hatte er am Fenster gestanden und der Sonne dabei zugesehen, wie sie am Himmel allmählich immer höher stieg. Rosa war dabei mit einer Ruhelosigkeit
um ihn herumgestrichen, die ihn schier rasend gemacht hatte. Beinah hätte er alle guten Vorsätze über Bord geworfen und wäre nach oben gestürmt, um diese verdammte Tür auch gegen Luz’ Willen zu öffnen. Dass Hernan schließlich vorgefahren war, um ihn zu dem Treffen in San Diego zu bringen, war geradezu eine Erlösung gewesen. Dass er sich während der Fahrt bisher kaum auf das hatte konzentrieren können, was ihn dort erwartete, war etwas anderes. Und dabei widerstrebte es ihm zutiefst, unvorbereitet zu sein. Nicht jetzt. Nicht
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