Blutbraut
schlief. Oder jemand, der sturzbetrunken war. Dafür zumindest sprach das Glas in seiner Hand. Eine goldene Flüssigkeit glänzte darin. Wenn er es noch einen Millimeter schiefer hielt, hatte er sie auf der Hose. Seine Augen waren offen. Trotzdem schien er nichts zu sehen. Geschweige denn dass er mich sofort bemerkte. Wie sonst immer.
Ich stand vermutlich eine Minute reglos in der Tür, ehe er blinzelte und den Kopf hob.
»Luz?« Er runzelte die Stirn, kniff die Augen zusammen. »Ich dachte, du bist oben. – Erstaunlich. Ich kann dich nicht spüren. « Mit der freien Hand rieb er sich übers Gesicht. »Ich hatte keine Ahnung, dass das Zeug diese Wirkung hat. Zumindest in dieser Dosis.« Die Worte schienen nicht wirklich für mich bestimmt zu sein. Genau genommen hatte er Mühe, sie überhaupt halbwegs verständlich herauszubringen.
Ich nickte zu dem Glas hin. »Der Wievielte ist das?«
Wieder dieses Stirnrunzeln. Er blickte zu der Hand auf seinem Oberschenkel, als habe er vergessen, dass er etwas darin hatte. Die Flüssigkeit schwappte endgültig über den Rand. Färbte den Stoff seiner Hose noch ein wenig dunkler. Joaquín
stieß ein Zischen aus, dann hob er es und prostete mir zu. An seinem kleinen Finger glänzte der Siegelring auf. »¡Salud!« Seine Reißzähne schlugen vernehmlich gegen den Rand. Mit einem Zug leerte er es bis zur Hälfte, ehe er es wieder auf sein Bein sinken ließ.
»Der Wievielte ist das?«, wiederholte ich und wies abermals auf das Glas. Es war verrückt, aber trotz der Diamantaugen und den mörderischen Fängen hatte ich keine Angst vor ihm.
»Ich bin nicht betrunken«, verteidigte er sich geradezu empört. Ja, klar. So sieht ›stocknüchtern‹ aus. » Das ist mein Erster. – No. El Segundo. ¡De Verdad!« Dafür schien seine Zunge erstaunlich schwer zu sein. Es sei denn, das hatte einen anderen Grund. Ich machte einen Schritt ins Wohnzimmer hinein. Noch einen. Gerade weit genug, um seine Augen in diesem Licht besser erkennen zu können.
Seine Pupillen waren nur noch stecknadelkopfgroß. Wenn überhaupt. »Du bist high!«, stellte ich erschrocken fest.
Er kicherte, ein absolut grotesker Ton, wenn man bedachte, wie rau seine Stimme klang; ließ den Kopf nach hinten, auf die Lehne, rollen. »Aber so was von.«
Unwillkürlich suchte ich nach irgendwelchen Tütchen oder Spritzen. Keine Spur. Also vermutlich kein Koks oder Heroin. Wenn ich ehrlich war, hätte es mich auch sehr gewundert. Blieben nur diese Tabletten. Mit denen er sich selbst langsam vergiftete, um in meiner Nähe sein zu können, wie Fernán gesagt hatte. Oder war es Rafael gewesen?
»Wie viele waren es?«
»Uh?« Er hob den Kopf gerade weit genug, um mich ansehen zu können. Das Glas hatte schon wieder bedenkliche Schlagseite.
»Diese Tabletten. Wie viele hast du geschluckt?«
Abermals ein Stirnrunzeln. »Meinst du, seit gerade eben oder über den ganzen Tag?«
Wie bitte? »Gerade eben.«
»Vier. – Oder waren es fünf?« Er ließ den Kopf auf die Lehne zurückfallen. »Sí, cinco.«
»Fünf?« Das war nicht sein Ernst. »Seit du mich nach oben und Soledad mit Fernán nach Hause geschickt hast?«
»Sí. Auf einen Streich.« Er kicherte erneut. Der Laut jagte mir eine Gänsehaut über die Arme. »Wie in diesem Märchen. Aus Deutschland. Mit dem Schneider. Du weißt schon: Der Kerl schlägt sieben Fliegen auf einmal tot und stickt es sich dann auf einen Gürtel: ›Sieben auf einen Streich.‹ Und alle Welt denkt, er hätte weiß der Himmel welche Monster erschlagen. « Er drehte den Kopf, bis er mich wieder ansehen konnte. »Kennst du es?«
»Nein.«
»Hm … Nicht? In der Bibliothek muss noch irgendwo ein altes Märchenbuch sein …« Wie zuvor rieb er sich übers Gesicht. Einen Moment lang sah es so aus, als wolle er aufstehen. Vielleicht um sich gleich auf die Suche nach diesem Märchenbuch zu machen? Doch er beugte sich nur nach vorne. Die Ellbogen auf die Knie gestützt, das Glas in beiden Händen locker dazwischen, blickte er zu mir her.
»Was willst du hier unten, mi vida?« Mit einem Schlag schien er vollkommen ›nüchtern‹. Nur dass seine Pupillen nach wie vor so unübersehbar winzig waren, zeigte, dass dem nicht so war. »Du weißt, was beim letzten Mal geschehen ist, als ich so … über-entspannt war.«
»Ich habe einen Schrei gehört …«
»Und da kommst du herunter?« Er lachte. Hart. »Du dachtest, Cris und ich hätten wieder eine Auseinandersetzung, wie?« Sein Mund verzog sich.
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