Blutbraut
Oh mein Gott. Hastig
zog Cris mich am Arm vom Boden hoch. Sein Griff war beinah schmerzhaft. Und trotzdem konnte ich spüren, dass seine Hand zitterte. Kalter Wind war aufgekommen und fegte über die Terrasse. Die Blätter der Büsche raschelten. Die Überreste der Seidenschals flatterten zu Boden. Eine Böe packte sie und riss sie davon. »Fernán. Bring Soledad von hier weg.« Fernán bekreuzigte sich, ehe ihm anscheinend überhaupt bewusst war, was er tat. »Sofort! Beide!«
Cris und Fernán bewegten sich beinah gleichzeitig. Cris’ Hand an meinem Arm lockerte sich keinen Millimeter. In einem weiten Bogen führte er mich an seinem Bruder vorbei. Und hielt sich dabei zwischen mir und Joaquín. Die farblos diamantenen Augen wichen keine Sekunde von mir. »Rafael, du weißt, was du zu tun hast. Die Leute in San Isandro müssen erfahren, womit sie in den nächsten Stunden zu rechnen haben. Und stell sicher, dass Fernán und Soledad heil nach Hause kommen.« Der nickte abrupt und folgte uns.
Erst als wir das Haus betraten, wurde mir bewusst, dass nirgendwo mehr Licht brannte. Im Wohnzimmer war Soledad gerade dabei, die überall im Raum verteilten Kerzen anzuzünden. Sie wandte sich um, als wir hereinkamen, und blies das lange Streichholz aus. Auf dem Tisch lag Matrix, daneben die Hülle von Matrix Reloaded. Halb offen. Ohne DVD.
»Na endlich. Ich dachte schon, ich müsste mich auch noch auf die Suche nach Revolutions machen«, begrüßte sie uns.
»Wir gehen, Liebes, jetzt gleich.« In Fernáns Stimme saß ein Beben.
»Was? Warum? Ist etwas …« Sie verstummte. Sah an uns vorbei. »¡Dios mío!« Offenbar war Joaquín uns gefolgt. Ohne ein Wort ließ sie es zu, dass Fernán sie aus dem Wohnzimmer und
in die Halle schob. Cris mit mir direkt hinter ihnen. Als wir den ersten Stock erreichten, schlugen draußen Autotüren. Ein Motor sprang an. Gleich darauf ein zweiter. Cris ging mit mir einfach weiter. Schnell und entschlossen. Die Kerzen auf den Tischen entlang den Wänden erwachten wie von selbst zum Leben. Ein paarmal warf ich einen hastigen Blick zurück, doch der Korridor hinter uns war und blieb leer.
In meinem Zimmer erwartete uns ein wild peitschender Vorhang vor der Tür zur Dachterrasse hinaus. Und diesmal war Rosa nicht dafür verantwortlich, auch wenn ihr Lavendelduft uns entgegenwehte. Ohne ein Wort zündete Cris auch hier Kerzen an, durchquerte den Raum, schloss die Läden, sicherte sie und verriegelte dann auch die Terrassentür. Den übrigen Fenstern wurde die gleiche Behandlung zuteil. Ebenso denen im Bad. Als er fertig war und sich anschickte, wieder zu gehen, stand ich noch immer wie festgefroren neben der Zimmertür.
Nach einem kleinen Zögern nahm er mich in den Arm. »Du musst keine Angst haben. Bleib einfach nur hier in deinem Zimmer, dann geschieht dir nichts.«
»Was ist da draußen passiert?«
»Wir haben Wetterhexerei betrieben.«
»Das habe ich nicht gemeint!«
Bitter verzog er den Mund. »Die Magie hat ihren Preis gefordert. «
Verständnislos runzelte ich die Stirn.
»Wenn jemand so kurz davorsteht, Nosferatu zu werden, wie Joaquín, bringt jedes bisschen Hexerei ihn ein Stück schneller an die Grenze heran. Und das da draußen eben war … ein magischer Hurrikan.« Er schüttelte den Kopf. »Eigentlich hätte er damit rechnen müssen.«
Oh mein Gott. »Wird er wieder …« ›Normal‹ war das falsche Wort. »… er selbst?«
»Das werden wir sehen, wenn die Sonne aufgeht.« Mit sichtlichem Bedauern ließ er mich los und trat zurück. »Entschuldige mich, Lucinda. Der Wind wird immer stärker. Ich muss sehen, dass ich die Läden geschlossen und gesichert bekomme, bevor es noch schlimmer wird. Und ich denke nicht, dass Joaquín im Moment eine große Hilfe dabei sein wird.« Er strich mir über die Wange. »Bleib einfach hier drin. Dann wird dir nichts geschehen.«
Damit ließ er mich allein.
Einen Augenblick sah ich ihm hinterher. Erst jetzt drang in meinen Verstand, dass meine Hosen unangenehm feucht waren. Und meine Füße noch immer nackt. Ich riss meinen Blick von der Tür los, ging zu meinem Kleiderschrank. Das Zittern saß noch immer in mir. Als ich ihn öffnete, wurde mir etwas anderes bewusst: Soledad hatte gesagt, sie hätte gedacht, sie müsste sich auch noch auf die Suche nach Matrix Revolutions machen. Ich hielt mich am Türrahmen fest. Matrix dauerte über zwei Stunden. Und wenn ich das richtig gesehen hatte, war sie bereits bei Matrix Reloaded gewesen, als
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