Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutbraut

Blutbraut

Titel: Blutbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Raven
Vom Netzwerk:
der Strom ausgefallen war. Auch wenn es sich nicht so angefühlt hatte: Wir mussten über zwei, wenn nicht sogar drei Stunden in diesem Kreis gestanden haben. Mit einem Gefühl der Benommenheit schüttelte ich den Kopf. Wenn man mich gefragt hätte, hätte ich auf eine halbe Stunde getippt. Allerhöchstens eine … Abermals schüttelte ich den Kopf. Schloss die Finger fester um das Holz des Rahmens, wünschte mir, das Zittern würde endlich aufhören.
    Ich tauschte Hose und Spaghettiträgertop gegen eines der
übergroßen Shirts aus dem Kleiderschrank, dann ging ich mit einer Kerze ins Bad. In ihrem flackernden Licht wirkten die Verbände an meinen Händen seltsam grau. Der Wind pfiff noch immer ums Haus und rüttelte an den Fenstern. Scheinbar mit jeder Minute heftiger.
    Über dem Waschbecken wickelte ich sie ab. Die zwei Stunden waren ja offenbar schon lange vorbei. Das Kräuterpulver war auf meiner Handfläche zu einer zähen Kruste verbacken, die jedem behutsamen Zupfen widerstand. Also ließ ich Wasser darüberlaufen und wusch mir vorsichtig die Hände. Diesmal ging sie mühelos ab. Darunter kam makellos heile Haut zum Vorschein. Noch nicht einmal eine Narbe war geblieben.
    Beklommen und erleichtert zugleich betrachtete ich meine Handflächen noch einen Augenblick, tupfte darauf herum, als bestünde die Gefahr, dass sich doch unvermittelt Narben oder vielleicht sogar die Schnitte selbst wieder zeigen würden. Als sich auch nach einer knappen Minute nichts verändert hatte, trocknete ich mir die Hände endgültig ab. Warum konnte dieses elende Zittern nicht aufhören? Ich zögerte, als ich das Handtuch zurückhängte.
    Und jetzt? Ich sah mein Spiegelbild an. Wieder einmal saß ich in meinem Zimmer fest. Draußen heulte ein ausgewachsener Sturm. Ich verzog den Mund. Dabei hatten wir Regen heraufbeschwören wollen. Irgendwo im Haus war Joaquín … Wenn ich ehrlich war, bezweifelte ich, dass ich in nächster Zeit schlafen könnte. Selbst jetzt schlug mein Herz noch immer viel zu schnell. Und mein Adrenalinspiegel war vermutlich jenseits von Gut und Böse. Die Läden waren geschlossen. Ich konnte noch nicht einmal den Sturm über der Sierra beobachten. Und wenn ich noch etwas in den alten Fotoalben aus
meiner Kiste blätterte? Besser, als einfach nur die Wand anzustarren, war es auf jeden Fall. Und vielleicht halfen die Bilder meinem Gedächtnis ja weiter auf die Sprünge. Möglich, dass ich irgendwann sogar müde genug war, um die Kerzen zu löschen und zu schlafen. Draußen prasselte es jetzt gegen die Läden. Regen! Endlich. Vielleicht würde dann auch der Sturm etwas nachlassen.
    Ich war auf dem Weg zum Bett, als der Schrei erklang. Ohne nachzudenken, riss ich die Tür auf und stürmte in den Korridor hinaus.
    Erst an der Treppe wurde mir bewusst, was ich hier gerade tat. Ich benahm mich wie die blödsinnige Heldin in irgendeinem schlechten Film. Obendrein in einem T-Shirt, das mir gerade mal bis zu den Knien ging und wie ein Sack um mich schlackerte. Abrupt blieb ich stehen, lauschte in die Tiefe, die Hand schon am Treppengeländer.
    Der Laut hatte sich nicht wiederholt, oder? War es überhaupt ein Schrei gewesen? Plötzlich war ich nicht mehr sicher. Letztlich konnte es alles Mögliche sein. Andererseits war Joaquín in keiner besonders guten Stimmung. Im Gegenteil. Was, wenn er und Cris aneinandergeraten waren? Und was glaubte ich ausrichten zu können, wenn dem tatsächlich so war? Aber ich konnte doch nicht zulassen, dass sie sich gegenseitig an die Kehle gingen. Nicht, wenn Cris Joaquín so gut wie nichts entgegenzusetzen hatte. Und nicht, wenn mit ziemlicher Sicherheit ich der Grund war, dass sie sich wieder stritten. Was hätte ich nicht darum gegeben, den Baseballschläger hier zu haben, der in meiner Wohnung in Boston hinter der Tür gelehnt hatte. Es war noch immer still. Sah man einmal von den Geräuschen des Regens und des Windes ab.

    Langsam und wachsam tappte ich die Treppe hinunter. Kein Laut, keine Stimmen. Vorsichtig durchquerte ich die Halle, spähte ins Wohnzimmer. Und hielt den Atem an. Eine einzelne Kerze brannte auf dem Baumstammtisch. Ohne Halter. Eine Lache aus rotem Wachs hatte sich unter ihr ausgebreitet. Alle anderen waren erloschen. Joaquín saß auf dem Sofa. Nein, nicht saß – hing. Halb nach vorne gerutscht. Die Beine breit und von sich gestreckt. Ein Arm schlaff neben sich. Die andere Hand auf dem Oberschenkel. Den Kopf nach hinten gekippt an der Lehne. Wie jemand, der

Weitere Kostenlose Bücher