Blutbraut
Jeder mit einem bunten Pulver gefüllt. Jedes in einer anderen Farbe. Sie konnten nicht mehr als jeweils zwanzig, dreißig, vielleicht allerhöchstens fünfzig Gramm enthalten. Ich verdrängte den Gedanken, dass es sich dabei um Drogen handeln könnte.
Doch dann fiel mir etwas anderes auf.
»Wo sind die Bilder?«, fragte ich erstaunt. Nur das Farb-Grauen stand noch auf der Staffelei. Nach wie vor verhängt. Alle anderen waren verschwunden.
Er drehte sich zu mir um. »Ich habe sie weggegeben.«
»Weggegeben?« Gestern Abend war Jorge mit einem geschlossenen Transporter vorgefahren und hatte zusammen mit zwei weiteren Männern ein paar große, wenn auch relativ schmale Kisten verladen, die sorgfältig in Folie eingepackt gewesen waren. Waren das seine Bilder gewesen? »Aber warum? Sie müssen doch ein Vermögen wert sein.« Ich verbarg meine Enttäuschung nicht, während ich die letzte Stufe überwand und den Raum durchquerte.
Joaquín hob die Schultern. »Vielleicht irgendwann einmal. Dann kann es gut sein, dass sie eine nette kleine Wertanlage für den Besitzer sind. Auch wenn ich nicht davon ausgehe, dass das tatsächlich jemals eintritt. Im Moment sind sie auf jeden Fall nur Farbe auf Leinwand.« Er rückte ein Stück zur Seite, als ich neben ihn an den Tisch trat, sah mich aus dem Augenwinkel an. »Hättest du eines haben wollen?«
Mal ganz abgesehen davon, dass es unmöglich gewesen wäre, auch nur das kleinste mitzunehmen, wenn ich immer wieder umziehen musste. »Das blaue war schön.« Aber da er auch das zusammen mit den anderen weggegeben hatte, war das nicht mehr von Bedeutung. Ich hob die Schultern. »Also: Was soll ich tun?«
»Da Jean-Marc es erwartungsgemäß nicht für nötig gehalten hat …«
»Jean-Marc?« Doch nicht der Jean-Marc, den Rafael bei seiner Auseinandersetzung mit Cris als ›Zombie-Meister‹ von New Orleans bezeichnet hatte. Andererseits: Das Päckchen kam ja aus New Orleans.
Joaquín hob fragend eine Braue.
Hastig schüttelte ich den Kopf. »Nichts.«
»Ach komm, Luz. Du bist eine miese Lügnerin.« Auch die
zweite Braue hob sich. »Wer hat dir etwas über Jean-Marc erzählt. Und was?«
Wieder schüttelte ich den Kopf. »Nichts. Ehrlich. – Ich … habe nur mal irgendwo gehört, dass er etwas mit Zombies zu tun haben soll.«
»Irgendwo. Gehört. Aha.« Er glaubte mir ganz offensichtlich kein Wort. Unsicher sah ich zu den Farben. Wenn sie von diesem Mann kamen, wollte ich vielleicht gar nicht wissen, was er damit vorhatte.
»Lucinda?« Dass Joaquín vor meinem Gesicht mit den Fingern schnippte, lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn. »Ich weiß zwar nicht, was genau du von diesem ›irgendwo‹ gehört hast, aber lass mich dir eines sagen: Ich kenne Jean-Marc schon eine ganze Weile. Er ist an manchen Stellen grenzwertig. « Wenn man den Gerüchten glaubte, war er das auch. »Okay, ich würde nicht beschwören, dass er nicht auch schon einmal für einen ›Zombie‹ verantwortlich gewesen sein könnte. Aber ich würde ihn immer noch als Houngan bezeichnen und nicht als Bokor.« Er nickte zu den Beuteln hin. »Und falls es dich beruhigt. Ich habe für diese Farben mit Geld bezahlt. Mit nichts anderem!« Wie etwa seiner Seele? Mit seinem Blut? »Verstanden?«
»Ja. Entschuldigung.« Ich nickte. Auch wenn ich keine Ahnung hatte, was ein Houngan war, geschweige denn ein Bokor. »Also: Was soll ich tun?«
»Du musst dich nicht entschuldigen.« Seine Stimme war wieder weicher geworden. »Und was du tun sollst? – Mir verraten, welche Farbe die hier jeweils in aufgelöstem Zustand haben.«
»Wie bitte?« Ich machte überrascht einen Schritt rückwärts.
Wir standen mitten in seinem Atelier. Um uns herum waren Tuben mit zig verschiedenen Farben. Ich hatte seine Bilder gesehen … »Aber … warum?«
Er schloss für eine Sekunde die Augen. »Ich kann keine Farben mehr unterscheiden«, sagte er, als er sie schließlich wieder öffnete.
»Was?« Verblüfft starrte ich ihn an.
Ein bitterer Zug huschte um seinen Mund. »Nosferatu sind farbenblind.«
»Oh.« Mehr fiel mir dazu im ersten Moment nicht ein. Deshalb hatte er mich in der alten Kirche auch nach der Farbe der Kreide gefragt … Und Rafael mit den Schals …
Sein Mund verzog sich abermals. »So kann man das auch zusammenfassen. «
Ich schluckte beklommen. »Seit wann?«
Er hob die Schultern. So gleichgültig die Bewegung sein sollte, sie war es nicht. »Seit ich begonnen habe, Nosferatu zu werden. Zuerst konnte
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