Blutbraut
»Ultramarinbl…« Er musste mir gefolgt sein. Zumindest stand er direkt hinter mir. So dicht, dass ich in der Bewegung gegen ihn prallte. »Uff.« Ich wankte.
Blitzschnell hatte er zugefasst, mich an den Oberarmen gepackt. Fest und trotzdem … sanft. Meine Hände mit Tube und
Reagenzglas waren zwischen uns gefangen. Ich brachte keinen Ton heraus. Er sah auf mich herab; eine Sekunde; eine Ewigkeit; sah auf meinen Mund; beugte sich vor. Ich wusste nicht mehr, wie man atmete. Sein Blick hing unverwandt auf meinem Mund; er kam mit seinem näher. Er würde mich … nicht beißen. Küssen. Sein Atem streifte meine Lippen. Er würde mich küssen. Das hatten sogar meine Lungen begriffen. Ich hielt die Luft an, ehe sie es sich anders überlegen und es an meiner Stelle tun konnten. Seine Augen zuckten zu meinen. Abrupt ließ er mich los, trat zurück. Ich prallte mit der Hüfte gegen die Tischkante. Es tat weh. Er machte noch einen Schritt zurück. Die Augen noch immer in meinen.
»Lo siento.«
Hatte ich das eben tatsächlich gehört? Das war ein Witz. Ein schlechter Witz.
Er wandte sich ab. Verkrampft. Die Hände zu Fäusten geballt. Ging zu den Farben zurück, nahm den Edding auf.
»›Ultramarinblau‹ hast du gesagt?«
»Ja.« Meine Stimme klang schwach. Ich wollte etwas zerschlagen. Irgendetwas. Ein schlechter Witz. Ich beobachtete, wie er die beschrifteten Plastikbeutel in das Päckchen zurückräumte. Vorsichtig. Sorgfältig. Erst als er fertig war, sah er mich wieder an.
»Danke für deine Hilfe.«
»Bitte.« Ich nickte. Steif. Abgehackt. »War es das?« Vorsichtig stellte ich das Reagenzglas in den Ständer, legte die Farbtube daneben.
»Sí.« Was auch immer in seinem Blick war, ich konnte es nicht deuten.
Abermals nickte ich, ging zur Treppe.
»Luz.«
Ich blieb stehen; drehte mich zu ihm um. Mein Herz klopfte. Ich wusste nicht, warum. »Ja?«
»Pack deine Sachen. Ich fahre dich gleich morgen früh nach L.A.; an den Flughafen.«
Sekundenlang rührte ich mich nicht. Ein schlechter Witz. Der immer schlechter wurde. »Morgen? Aber … es regnet doch noch.«
»Bis morgen wird es aufgehört haben. – In dem Schrank unter der Treppe sind Reisetaschen und Koffer. Nimm von deinen Sachen alles mit, was du mitnehmen willst.« Er sagte es vollkommen ruhig. Kühl. Gelassen. Geradezu … geschäftsmäßig.
Mein Hirn war wie leer gefegt. »In Ordnung. Danke.«
»Und sag Cris und Rafael nichts davon.«
Ich blinzelte. »Warum?« Warum schickst du mich weg? Eben wolltest du mich noch küssen.
Zögern, dann: »Weil sie beide versuchen würden, zu verhindern, dass du gehst.«
»Ach so. Ja. Gut.« Was hätte ich sonst sagen sollen. Er schickte mich weg. Vor ein paar Tagen hatte ich noch Angst gehabt, er würde nicht zu seinem Wort stehen; unseren Deal nicht einhalten; mich hierbehalten. Für immer. Warum fühlte es sich jetzt so seltsam an, dass er mich wegschickte? So als würde es wehtun. Es konnte nicht wehtun. Ich hatte von Anfang an wieder von hier fortgewollt. Also gab er mir genau das, was ich wollte. Wie benommen drehte ich mich um, stieg die Treppe hinunter und ging in mein Zimmer. Ich musste packen.
Morgen früh würde er mich nach Los Angeles fahren.
Meine Zeit auf Santa Reyada war um.
Es tat weh.
Warum?
32
D as ist nicht der Weg zum Flughafen!« Schon zum dritten Mal bogen wir in die entgegengesetzte Richtung ab, in die der Pfeil auf dem Straßenschild zum Los Angeles International Airport wies. Bei den ersten beiden Malen hatte ich noch angenommen, wir würden eine Abkürzung nehmen, aber jetzt? Ich sah zu Joaquín.
Am Morgen hatte er noch früher vor meiner Tür gestanden als gewöhnlich. Um meine Taschen zu holen und im Wagen zu verstauen. Offenbar wollte er nicht, dass Cris oder Rafael etwas davon mitbekamen.
Ich hatte nicht viel mitgenommen. Überwiegend die Duplikate der Sachen, die ich mir in diesem und im letzten Jahr gekauft hatte. Das schwarze Spitzentuch, das Luisa mir geschenkt hatte. Die Spieluhr, das Schmuckkästchen, Mr Brumbles. Das schreiend bunte Tuch. Zwei der Kinderbücher, von denen ich inzwischen wusste, dass es meine Lieblingsbücher gewesen waren. Aus den Alben hatte ich ein paar Fotos gelöst. Das, auf dem Joaquín mich über der Schulter hatte; eines, auf dem Cris und Joaquín gemeinsam über irgendetwas gebeugt saßen und gleichzeitig davon aufsahen und in die Kamera schauten; eines von Quichotte zusammen mit Joaquín und eines von Quichotte allein … Nichts von
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