Blutbraut
blieb wieder stehen. Ein Lächeln glitt für einen Sekundenbruchteil über seine Lippen. Hart. Eiskalt. Es jagte mir eine Gänsehaut den Rücken hinab.
Cris’ Hand berührte meine. »Entspann dich, Lucinda. Dir wird nichts geschehen!«
Ich riss den Kopf herum, starrte ihn an. Hatte er dieses Lächeln nicht gesehen? Eine Geste seines Großvaters lenkte meine Aufmerksamkeit abrupt wieder zu ihm zurück.
»Möchtest du dich nicht vielleicht setzen, meine Liebe …«
Mein Blick zuckte in die Richtung, in die er wies. Mehrere Sessel und ein Sofa. Aus dunklem Leder. Irgendwie erinnerte es mich an Santa Reyada. In Düster; ohne Licht. Über dem niedrigen Tisch dazwischen lag etwas; seltsam … ledrig und zugleich seidig schimmernd. Eine zarte … Membran, gehalten von feinen … Knochen. Mein Herz verpasste einen Schlag. Schwingen! Quer über dem Tisch lagen riesige, schwarze Schwingen. Wunderschön. Mörderische schwarze Krallen glänzten an den Spitzen. Die Schwingen eines Nosferatu. César … die alte Kirche … überall Blut … Meine Lungen verkrampften sich noch ein Stück weiter. Atmen!
Ich riss die Augen davon los, schüttelte den Kopf, schlang die Arme um mich, sah ihn wieder an.
»Wie du meinst.« Er hob nur die Schultern. Vollkommen
gleichgültig. »Dann will ich mich in meiner ›Erklärung‹ kurzfassen: Es gibt einen … Zauber, mit dem es möglich ist, Joaquín seine Macht zu nehmen. – Und wenn er damit kaum mehr als ein Mensch ist, kann er auch nicht weiter Nosferatu werden.«
»Ihr wollt ihm …« Es klang so unfassbar, dass ich es kaum aussprechen konnte. »Er wäre tatsächlich nur noch ein Mensch?« War das derselbe Zauber, in den Cris seinem Bruder damals hineingeraten war?
»Ja. Ob seine bisherigen … ›Veränderungen‹ allerdings wieder verschwinden werden, kann niemand vorhersagen.«
»Warum hat Joaquín diese Möglichkeit nicht selbst gefunden? « Atmen!
Abermals hob er die Schultern. Kalt. Verächtlich. »Vielleicht hat er an den falschen Stellen gesucht?«
»Und Joaquín ist damit einverstanden?« Ich musste atmen!
»Kein Hexer der Hermandad wäre damit einverstanden. Aber wenn wir sein Leben retten wollen, so wie es jetzt ist, haben wir keine andere Wahl, als uns über seine eigenen Wünsche hinwegzusetzen. Wenn alles vorbei ist, wird er uns dankbar sein.« Aber Cris hatte mir erzählt, Joaquín hätte jederzeit sofort und mit Freuden mit ihm getauscht? Warum hätte er lügen sollen? Warum hätte Joaquín lügen sollen? Und warum sollte Jesús de Alvaro die Wahrheit sagen? Es machte keinen Sinn.
»Was geschieht mit Joaquíns Macht?«
»Nun, so viel Macht lässt sich nur auf jemanden übertragen, der dem Hexer in der Blutlinie sehr nahe steht.«
»Cris?!«
»Ja.« Wieder dieses Lächeln. Ich presste die Arme enger gegen meinen Bauch.
»Und was ist mit Cris? Was … was wird aus ihm? Gibt es für ihn auch …« Atmen! »… eine Blutbraut?«
»Ich hatte gehofft, du würdest diese Stelle einnehmen.« Cris sagte das hinter mir sehr leise.
Ich warf ihm einen schnellen Blick über die Schulter zu. »Aber ich … ich passe doch nicht für dich.« Atmen, Lucinda! Atmen!
»Vielleicht ja doch … nachdem es Joaquíns Macht ist, über die ich dann verfüge. Und ich sein Bruder bin …. Würdest du denn … Wärst du denn damit einverstanden?«
Sie wollten mich einfach weiterreichen. Von einem Bruder an den anderen. Hatte Rosa sich damals so gefühlt? »Ich … ich …« Atmen, Lucinda! – Mit jeder Sekunde schien es mir schwerer zu fallen. Das alles machte überhaupt keinen Sinn. Warum sollte ihr Großvater – ein NOSFERATU! – Joaquín – und Cris – helfen wollen? Was hatte er davon? Außer …
›Ein paar von ihnen können es vermutlich kaum erwarten, bis es mit mir vorbei ist. Jemand mit meiner Macht in ihren Reihen … die Hermandad hätte ein massives Problem ‹, hatte Joaquín in dem alten Dorf gesagt, › aber es gibt auch genug unter ihnen, denen ich tot deutlich lieber bin. Auch unter den Nosferatu hätten die wenigsten die Macht, sich mir entgegenzustellen.
… Macht. – Cris wollte seine Macht zurück. Sein Großvater half ihm dabei. Er wäre ihm sicher dankbar dafür … Oder wollte Jesús de Alvaro einfach nur seinen Enkel ausschalten, bevor der am Ende doch Nosferatu wurde? War Joaquín einfach nur ein Rivale für ihn, den er beseitigen wollte? Aber was hatte Cris dann damit zu tun? Er konnte Joaquín doch unmöglich so sehr hassen, dass er zuließ, dass
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