Blutbraut
sein Großvater ihm irgendetwas antat. Wie lange gab es diesen Plan eigentlich schon? Warum
hatten sie so lange damit gewartet? So lange, bis Joaquín nur noch einen Schritt vom Abgrund entfernt war? Weil er nicht damit einverstanden gewesen wäre? Aber hatte es nicht schon zuvor mehr als genug Gelegenheiten gegeben? – Gelegenheiten wie in der Nacht in der alten Kirche?
›Wer steckt hinter dem hier, César?‹
›Komm mit und du wirst es sehen. Er hat befohlen, euch zu ihm zu bringen. Beide. Er erwartet euch sehnsüchtig. – Und ich habe nicht vor, ihn zu enttäuschen.‹
Jesús de Alvaro war jemand, den man sicherlich nicht enttäuschen wollte …
Hatte ich geglaubt, ich hätte zuvor schon keine Luft mehr bekommen?
›Aber wenn es ein Nosferatu ist, und er bei Tag nicht herauskann, dann …‹ – ›… dann hat er jemanden in seinen Diensten, der das kann und die Drecksarbeit für ihn erledigt.‹
Nein! Nein, das konnte nicht … »Das warst du!« Ich sah Cris an. »Du hast den Wagen lahmgelegt, während wir unterwegs waren.« Von einer Sekunde zur anderen war er leichenblass. Oh mein Gott, Cris. Nein! Irgendwie hatte ein kleiner Teil von mir bis eben noch gehofft, dass es doch nicht so war. »Du hast dafür gesorgt, dass wir nicht aus dem alten Dorf weggekommen sind, ehe die Sonne untergegangen ist. Sie sollten uns schon in der Nacht damals hierherbringen. Die Nosferatu haben zu deinem Großvater gehört.« Fassungslos und zugleich wie benommen schüttelte ich den Kopf. »Sie hätten uns beinah umgebracht. Joaquín. Und mich.« Fühlte sich so ein Schlag über den Schädel an? War denn alles, was er getan hatte, was er gesagt hatte, eine Täuschung gewesen? Und ich war tatsächlich in ihn verliebt gewesen. »Cris …«
»Euch sollte nichts passieren. Dass Joaquín sich so gewehrt hat …«
»Du dachtest, er geht freiwillig mit?« Abermals schüttelte ich den Kopf. Das hatte er doch nicht wirklich glauben können? »Du wusstest doch … Du hättest dir doch denken können … dass er das niemals getan hätte.«
Hatte Cris eben noch schuldbewusst geklungen, änderte sich sein Ton jetzt, wurde seine Stimme hart. »Es hätte nie so weit kommen sollen. Aber dass Joaquín sich so gewehrt hat … Das hat er sich alles selbst zuzuschreiben. Wenn er mir einmal zuhören würde. Wenn er es nur einmal …«
»Das glaubst du nicht ernsthaft?« Ich starrte ihn an. »Das … Nein! Und du glaubst doch nicht ernsthaft, dass dein Großvater das alles nur tut, um zu verhindern, dass Joaquín noch mehr Nosferatu wird und du deine Macht zurückbekommst. Er ist Nosferatu, Cris! NOSFERATU!«
»Er ist mein Großvater! Familie bedeutet ihm etwas.« Er ballte die Fäuste. »Aber wie sollte Joaquín das verstehen können. Mein unfehlbarer, selbstherrlicher Bruder Joaquín. Oder du.« Die Worte waren ein Zischen. Entsetzlich wütend.
Oh mein Gott, Cris. »Ich weiß nicht, was das soll, aber ich glaube ihm nicht. Er will euch nicht helfen.« Ich wich einen Schritt zurück, schüttelte erneut den Kopf. »Er will Joaquíns Macht für sich. Nicht für dich!«
»Lucinda …« Wütend. Warnend.
Es war mir egal. »Er steht Joaquín in der Blutlinie vielleicht nicht so nah wie du, aber fast.« Ich sah zu seinem Großvater hinüber. »Ich glaube ihm nicht!« Der Ausdruck in den diamantfahlen Augen sagte mir, dass ich recht hatte. Auch wenn ich noch immer nicht begriff, was er wirklich wollte. Hatte ich gerade
mein eigenes Todesurteil ausgesprochen? Ich machte einen weiteren Schritt zurück – an Entkommen war nicht zu denken, die beiden Nosferatu warteten vor der Tür –, schaute zu Cris. »Bitte, denk doch nach! Warum sollte er …«
»Wir beenden diese Unterhaltung an dieser Stelle«, schnitt mir sein Großvater den Satz ab. Die Tatsache, dass er dabei auf mich zukam, war dabei fast noch effektiver als seine Worte. »Señorita Moreira steigert sich da gerade in etwas hinein, das unserem Vorhaben alles andere als dienlich ist.« Sein Lächeln war keines. Seine Fänge … Er griff nach mir, packte mich am Arm. Ich war zu langsam, um ihm auszuweichen, prallte obendrein auch noch gegen Cris, der unvermittelt hinter mir stand. Meine Lungen verkrampften sich endgültig. Ich wollte schreien. Alles, was ich hervorbrachte, war ein hoher, dünner Ton. Schwach, kaum hörbar. »Ganz nebenbei läuft uns die Zeit davon. Bald habe ich keine andere Wahl, als Joaquín zu töten.« Er hielt auf die Tür zu, zog mich mit. Hilflos taumelte ich
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