Blutbraut
aus Stein oder Beton bestand. Die Wand fühlte sich rau an. Und schien mit jedem Meter feuchter zu werden. Ich konnte einen erschrockenen Laut nicht ganz unterdrücken, als ich unvermittelt in etwas Kalt-Glitschiges hineinfasste. Beim nächsten Schritt war da kein Boden mehr. Ich schrie, wurde am Arm gepackt, rutschte von einer Kante ab, stolperte drei Stufen hinunter und stand unvermittelt bis über die Knöchel in Nässe. Zitternd und keuchend. Mein Herz raste. In meinen Ohren donnerte das Blut. Joaquíns Hand umklammerte noch immer meinen Arm knapp über dem Ellbogen. Sein Atem schlug gegen meine nackte Schulter. Schlagartig zogen meine Lungen sich zusammen. Das Wimmern, das aus meiner Kehle kam, wurde von einem Knurren direkt neben meinem Ohr beantwortet. Ich zerrte an seinem Griff, seine Fingernägel gruben sich in meine Haut … Ich stolperte zur Seite, als ich unvermittelt losgelassen wurde, fiel, kroch blindlings davon, bis ich an eine Mauer stieß, kauerte mich zusammen, hörte, wie er sich im Wasser bewegte, auf mich zukam. OhmeinGottOhmeinGottOhmeinGottOhmeinGott.
Ich glaubte zu spüren, wie er sich über mich beugte, sich an
der Wand in meinem Rücken abstützte, krümmte mich ein Stück mehr zusammen, rang nach Luft. Sein Atem strich über meinen Hals, seine Bartstoppeln kratzten über meine Haut. Ich saß wie erstarrt, konnte noch nicht einmal mehr zittern, wartete auf den Schmerz. Presste die Lider in der Dunkelheit zusammen, als könnte ich so das Unvermeidliche aussperren. Ein Stöhnen, eine Berührung in meinem Haar. Seine Lippen legten sich auf meine Kehle. Federleicht. Kaum mehr als ein Hauch. Kein Biss, ein … Kuss. Quälend sanft.
»¡Jamás, mi luz!«, rau, knurrend. Ein Flüstern, kaum zu verstehen. »¡Jamás! Niemals!« Sein Mund streifte meine Schulter, entsetzlich zärtlich. Dann war er fort. Erneut konnte ich hören, wie er sich im Wasser bewegte; von mir weg; stehen blieb. Mein Atemzug klang wie ein Schluchzen. Sekundenlang war da nichts anderes. Aber er hatte mir nichts getan. Er hatte die Lippen an meiner Kehle gehabt und nicht zugebissen. Wieder. Obwohl es nicht mehr als eine winzige Bewegung gewesen wäre. Er würde mir nichts tun! ›¡Jamás! Niemals!‹
»Wir müssen weiter, Lucinda.«
Langsam drückte ich mich an der Wand entlang in die Höhe. Das Wasser plätscherte, als er einen Schritt in meine Richtung machte. Sofort krampften meine Lungen sich wieder zusammen. ›¡Jamás! Niemals!‹ Dass mein Kopf das begriffen hatte, bedeutete noch lange nicht, dass dieser andere Teil von mir das Grauen abschalten konnte.
»Licht. Bitte.« Meine Stimme klang dünn. Ich hatte die Finsternis um uns herum bis zu diesem Moment ertragen, aber jetzt … konnte ich es nicht mehr. Ich musste ihn sehen können.
»Es wird sie auf unsere Spur setzen.«
»Bitte!« Es war mir egal.
Stille. Ich spürte sein Zögern. Doch dann hörte ich, wie er wieder zu mir zurückkam.
»Streck deine Hand aus.« Er konnte nicht mehr als eine Armlänge von mir entfernt stehen. Ich biss die Zähne zusammen, hob die Hand, zwang mich weiterzuatmen. Ein. Aus. ›¡Jamás! Niemals!‹ Er würde mir nichts tun! Er würde es nicht! Trotzdem zitterte ich.
Er drehte sie mir um; Handfläche nach oben. Das Zittern wurde schlimmer. Sosehr ich es auch unterdrücken wollte. Eine Berührung an meinem Handrücken, als er seine darunterhielt, um meine zu stützen. Rasiermesserscharfe schwarze Krallen-Fingernägel, die … ich verdrängte den Gedanken. Er würde mir nichts tun! Trotzdem fuhr ich zurück, als blasses, blaues Licht über meiner Handfläche aufflackerte und mir zeigte, wie dicht er vor mir stand. Für eine Sekunde blitzte etwas in seinen diamantfahlen Augen auf, das ich nicht deuten konnte. Er zog seine Hand unter meiner heraus, trat zurück, wies den Tunnel hinab, angespannt.
»Geh! Beeil dich! Leise!«
Ich stieß mich von der Wand ab, wandte mich in die angegebene Richtung. Das Licht blieb vor mir. Selbst als ich die Hand sinken ließ, schwebte es weiter knapp auf Schulterhöhe. Gerade hell genug, dass ich erkennen konnte, was um mich war. Gemauerte Wände. Umrisse. Schatten. Nicht mehr. Das Wasser schwappte bei jedem Schritt um meine Knöchel. Joaquín war direkt hinter mir. Sich zu beeilen und gleichzeitig leise zu sein, war so gut wie unmöglich. Immer wieder musste ich mich an der Wand abstützen. Ein Knick nach rechts. Unvermittelt versperrte ein massives Gitter uns den Weg. Von einer Seite des Tunnels
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